Colum McCann mit Diane Foley
American Mother
2014 - Zwei Anrufe, zwei Hinweise, dann ein Link – Diane Foley rechnet nicht mit dem Schock, den sie erleben wird, denn sie hofft seit Jahren darauf, dass ihr Sohn Jim aus der Geiselhaft syrischer Terroristen befreit wird. Aber was sie dann völlig unvorbereitet trifft, ist das grauenvolle Foto ihres enthaupteten Sohnes.
Suche nach Wahrheit
„Die Zeit blieb nicht einfach stehen: Die Zeit hörte auf zu existieren ... Es musste sich um eine Fotomontage handeln. Einen grausamen Streich. Das konnte nicht echt sein. Das Undenkbare konnte unmöglich passiert sein. Nicht jetzt. Nicht so."
Ein bestialischer Mord nach Jahren angstvollen Wartens. Ihr Sohn, der älteste von fünf Kindern, saß in Libyen in Geiselhaft, ging nach seiner Freilassung trotz Warnung nach Syrien und wurde dort erneut als Geisel gefangen. Er war Journalist, voller Idealismus auf der Suche nach Wahrheit. Ein Kriegsberichterstatter, der mit seinen Fotos und Berichten hinter die Kulisssen der offiziellen Berichterstattung schauen und das unendliche Leid der Menschen im Krieg und auf der Flucht zeigen wollte - im Irak, in Afghanistan, in Libyen und schließlich in Syrien.
Sieben Jahre danach sitzt Diane Foley in einem fensterlosen Gerichtssaal dem Mörder ihres Sohnes, dem ehemaligen britischen Staatsbürger und ehemaligen IS-Kämpfer Alexanda Kotey gegenüber. Er hat eingewilligt,
„vor der endgültigen Urteilsverkündung, falls gewünscht, mit den Familien der Opfer zu sprechen.... Sie war die Erste, die den Wunsch geäußert hat, ihn zu treffen, und vielleicht bleibt sie am Ende die Einzige."
An drei Tagen spricht sie mit ihm, fragt, hört zu, beobachtet, kommentiert in Gedanken - ob er Gefühle zeigt, so etwas wie Menschlichkeit, Reue. Sie hat ihn im Gerichtssaal bei der Verurteilung gesehen - „er war ein zugefrorener See." In diesem Gespräch läßt sie nicht locker, verbirgt Verzweiflung und Trauer, aber: „Eines weiß sie ganz sicher: Sie ist nicht hier, um Rache zu üben."
Zwiegespräch
Colum McCann gelingt gemeinsam mit Diane Foley schon in diesem ersten Teil, die tiefe Anspannung zwischen Kotey und Diane zu zeigen, die sich vor allem in ihren Gedanken abspielt, in einem inneren Zwiegespräch während seiner realen Schilderungen. Er verteidigt sich zwar nicht, wohl aber versucht er zu rechtfertigen, warum diese Tat geschah, welcher Hass ihn dazu getrieben hat, welche Schuld er auf sich geladen hat. Im weiteren Verlauf dieses ungewöhnlichen und packenden Buches, das in Dianes Ich-Perspektive erzählt ist, geht es um ihren Sohn, seine Entwicklung, seine moralischen Grundsätze und seine Motive, das mühevolle Berufsleben eines Free Lancers zu führen, in die Kriegsgebiete der Welt zu reisen, um unter Lebensgefahr Zeugnis zu geben vom Grauen der Kriege in dieser Welt. Es ist aber auch die Beschreibung eines erschöpfenden Kampfes um Gerechtigkeit, den Diane Foley zunächst mit Freunden und Familie austrägt, und später mit der von ihr gegründeten Stiftung „James Foley Fund", die sich für die Befreiung von Geiseln einsetzt. Denn:
„Unsere Regierung war, offen gesagt eine Katastrophe. Es gab nicht eine Behörde oder Abteilung, die sich zuständig fühlte, für die Rückkehr von im Ausland entführten Amerikanern zu sorgen. ... In puncto Geiseln vertraten die USA strikt die Haltung, keine Verhandlungen zu führen und keine Zugeständnisse zu machen ... Wir hielten an Grundsätzen fest, nicht an Menschen."
Drei Monate nach dem Tod von Jim Foley beginnt eine Überprüfung und später die Veränderung der amerikanischen Geiselpolitik.
Vergebung statt Hass
Der innere und der öffentliche Kampf von Diane Foley gegen Hass, Rache, Wut, Verzweiflung und Schmerz endet unerwartet: Kotey, verurteilt zu lebenslanger Isolationshaft, hat zwei Briefe an sie geschrieben, die sie erst deutlich verspätet erhält. Und die „american mother" trifft sich noch einmal mit dem Mörder ihres Sohnes, führt mit sich selbst erneut ein Zwiegespräch, spricht mit Kotey. Die Frau, die so sehr Kraft aus ihrem Glauben und aus ihren moralischen Überzeugungen gezogen hat, entscheidet sich für Vergebung: Sie reicht ihm die Hand und wünscht ihm, Frieden zu finden. Eine berührende Geste - und ein außergewöhnliches Buch.
(Christiane Schwalbe)
Colum McCann, *1965 in Dublin, mehrfach ausgezeichneter irischer Bestsellerautor, lebt in New York
Diane Foley, Mutter des ermordeten Kriegsjournalisten James Wright Foley, gründete mehrere Organisationen, die Angehörige von Opfern politischer Entführung unterstützen
Colum McCann mit Diane Foley "American Mother"
aus dem Englischen von Volker Oldenburg
Rowohlt 2024, 272 Seiten, 26 Euro
eBook 21,99 Euro