Colum McCann
Twist
Er ist Journalist und ein „sich mühender Romancier und Gelegenheitsdramatiker”, dem lange nichts eingefallen ist, der sich nicht für Kabel interessiert und sich doch darauf einläßt, eine Reportage für ein Online-Magazin zu schreiben: über Datenkabel auf dem Meeresgrund, die repariert werden müssen, wenn sie u.a. durch Sabotage beschädigt werden – heute ein Thema, das immer häufiger in den Nachrichten auftaucht und von der Bedeutung dieser Datenströme erzählt.
Nadel im Heuhaufen
Ohne Tiefseekabel keine globale Kommunikation – 95 Prozent aller weltweiten Informationen werden auf dem Meeresgrund übertragen, sind Teil des gigantischen Datennetzes, das von wenigen Tech-Giganten gesteuert wird. Anthony Fennell denkt darüber zunächst nicht nach, er hofft für seine Reportage auf eine Auszeit und auf neue Inspirationen:
„Ich glaubte, mich ausgeschrieben zu haben, und wenn ich jemals weiterschreiben wollte, würde ich wieder in die Welt hinausmüssen. Was ich brauchte, war eine Geschichte über Verbindung, über Heilung, über Reparatur.”
Doch vor der Geschichte stehen zunächst Begegnungen in Südafrika – mit John Conway, dem Chef der Reparatur-Crew, einem ebenso faszinierenden wie undurchschaubaren Mann „mit einer dunklen Seite”, verheiratet mit einer schwarzen Schauspielerin, die sich mit ihren Kindern gerade auf den Weg nach England macht, wo ein neues Engagement auf sie wartet. Die Männer umkreisen einander, neugierig, mißtrauisch, abwartend.
Krankenhäuser ohne Internet
Es dauert eine Weile, bis ein neuer Kabelbruch den Einsatz des Reparaturschiffes erfordert – an der afrikanischen Westküste, verursacht durch eine Flutkatastrophe im Kongo, die unterirdische Erdrutsche auslöst. Die Bruchstelle zu finden, ist wie die Nadel im Heuhaufen. Es dauert.
„Der Internetverkehr war über die Kabel an der Ostküste umgeleitet worden, jedoch weiterhin stark verlangsamt. Das betraf Börsen. Den Devisenhandel. Unternehmen. Schlimmer noch war, dass Teile der Westküste ... überhaupt keine Verbindung mehr hatten. Krankenhäuser ohne Internet, Regierungen ohne Telefon, Onlinefirmen mit massivem Wertverlust."
Auf dem Schiff gibt es keinen Alkohol – für Fennell Anlaß, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen – aber zunächst muss er sich durch unerwartete Qualen seiner Seekrankheit kämpfen. Als er sie hinter sich hat, wird er seine Zeit damit verbringen, Meereswellen zu beobachten, Gemeinschaftsgefühl auf hoher See zu erleben und Conway zu beobachten, ohne aus ihm schlau zu werden. Aber er denkt auch über die Veränderung Südafrikas nach dem Ende der Apartheid nach und darüber, wem die Meere inzwischen gehören, wer sie ausbeutet. Und er wird die schwierige Positionierung des Greifhakens verfolgen, der das beschädigte Kabel nach oben ziehen muss, damit es an Bord repariert werden kann:
„Unter uns lag eine Wildnis aus Canyonwänden, Höhlen, Spalten, Klippen. Wäre das Meer plötzlich ausgetrocknet, hätte das einen viertausend Meter tiefen freien Fall bedeutet."
Dramatische Wendung
Die Suche nach dem Kabel, die geheimnisvolle Vergangenheit des John Conway, ein Säureattentat auf seine Frau in Brighton auf offener Bühne, die Ansprüche von Tech-Konzernen, die Meere zum eigenen Nutzen zu verkabeln – in Gewässern, durch die früher Sklavenschiffe gekreuzt waren: McCann verknüpft wie immer überaus geschickt Fakten und Fiktion in diesem packenden Roman, in dem es um Umweltzerstörung und Informationsüberfluss ebenso geht wie um die Hilflosigkeit von Menschen gegenüber einer übermächtigen Technik, die kaum noch kontrollierbar ist: „Kabel regieren in gewisser Weise die Welt", sagt er im Interview. Faszinierend, wie mühelos McCann aus einer fast dokumentarisch genauen Sprache über technische Prozesse und die weltweite Bedeutung von Tiefseekabeln samt ihrer politischen Brisanz in poetische Beschreibungen und philosophische Überlegungen wechselt und damit Stimmungen einfängt.
Er hat auch für diesen Roman umfangreich recherchiert, wollte – wenig erfolgreich - sogar das Tauchen lernen, um ein Gefühl für Meerestiefen zu bekommen. Und holt zum Schluß noch einmal weit aus – für eine unerwartete und dramatische Wendung des Geschehens.
(Christiane Schwalbe)
Colum McCann, *1965 in Dublin, mehrfach ausgezeichneter irischer Bestsellerautor, lebt in New York
Colum McCann "Twist"
aus dem Englischen von Thomas Überhoff
Rowohlt Verlag 2025, 416 Seiten, 28 Euro
eBook 24,99 Euro, Hörbuch 17,64 Euro
Weitere Buchtipps zu Colum McCann
American Mother
Apeirogon