Alexa Hennig von Lange
Die Wahnsinnige
Als Johanna, Königin von Kastilien und Léon, Aragón, den westindischen Inseln und des neu entdeckten Amerikas 1555 starb, war sie 76 Jahre alt und hatte die letzten 45 Jahre als Gefangene verbracht. Sie galt als wahnsinnig.
Zur Regentschaft verdammt
Was aber ist Wahnsinn in einer Zeit, als Tausende als Ungläubige auf den Scheiterhaufen der Inquisition verbrannt wurden? Als alle Errungenschaften der Maurenherrschaft in Spanien auf dem Altar der Reconquista geopfert wurden? Als Frauen zwar Herrscherinnen werden konnten, aber um den Preis des Verzichts auf jegliches Eigenleben? Alexa Hennig von Lange erzählt von einer Frau, die nie Königin werden wollte. In einem fiktiven Brief an eines ihrer sechs Kinder, die Tochter, die Königin von Portugal wird, schreibt Johanna:
"Ich war die Gefangene meines Mannes. Ich war die Gefangene meines Vaters. Nun bin ich die Gefangene meines Sohnes."
Als ihr Mann, Philipp der Schöne von Burgund als spanischer König stirbt, ist sie noch keine dreißig Jahre alt, Mutter von sechs Kindern, verdammt zur Regentschaft und damit auch dazu, gefangen zu sein. Ein ungeheuerliches Schicksal, historisch verbürgt, das Alexa Hennig von Lange zu einem stimmigen Bild einer Frau verdichtet, deren Wünsche und Gefühle höchst gegenwärtig erscheinen.
Im Gewahrsam der Mutter
Ihr Mann und drei ihrer Kinder sind in Flandern, während sie von ihrer Mutter Isabella von Kastilien mit dem jüngsten Kind in Spanien in Gewahrsam gehalten wird, damit sie wieder zur Vernunft kommt, betet und die Beichte ablegt. Die Dreiundzwanzigjährige ist zutiefst verletzt, denn sie hatte sich nach der Vermählung erlaubt, ihren Mann zu lieben und tobt gegen ihre tiefe Enttäuschung an:
"Doch was ich nicht verstand, was ich einfach nicht verstand in dieser verblendeten Glückseligkeit, war, dass es aus dem Traum auch immer ein Erwachen gibt, dass es zur Zweisamkeit auch eine Einsamkeit gibt, dass das Gegenteil von Macht die Unterdrückung ist. Und dass dieses regennasse Flandern und mein mir zugewiesener Mann nicht meine Befreiung, sondern meine Zerstörung sein würden."
Die Autorin zeigt eine junge Frau mit starken Gefühlen, die sich schließlich die Rückkehr nach Flandern erkämpft, die neuerliche Enttäuschung über ihre Ehe geschickter als zuvor verbirgt und für die wenigen Jahre bis zum Tod ihrer Mutter das Leben mit ihren Kindern genießt. Doch den Zwängen der Thronfolge und den Intrigen um ihre Regentschaft kann sie sich nicht entziehen, und ihre vermeintliche Geisteskrankheit ist die Waffe, die sich gegen sie richten wird.
Intrigante Netzwerke
Mit feinem Gespür für die innere Welt einer gedemütigten Frau entfaltet Hennig von Lange die Sichtweise Johannas. Nicht wie in einem historischen Roman, sondern als Möglichkeit im Sinne literarischer Freiheit, die die Figur uns als Leserinnen und Lesern nahebringt, ohne sie zu vereinnahmen. Ihren 'Wahnsinn' als Aufbegehren gegen patriarchale Konventionen und intrigante Netzwerke darzustellen, erweist sich als kluger Kunstgriff, durch den Blick in eine ferne Zeit der Gegenwart einen Spiegel vorzuhalten. Und wer weiß schon, ob die tiefsten inneren Bedürfnisse vor 500 Jahren so vollständig anders waren als heute.
Die Menschen bekämpfen und ermorden sich in ihrem Streben nach Macht, Reichtum und Bedeutung. Ich habe nie jemanden getroffen, der dabei glücklich geworden wäre. Der Hunger bleibt, bis alles verzehrt und vernichtet ist.
(Lore Kleinert)
Alexa Hennig von Lange, *1973 Moderatorin und Autorin zahlreicher Erzählungen, Romane, Theaterstücke und Jugendbücher, lebt in Berlin
Alexa Hennig von Lange "Die Wahnsinnige"
Roman, Dumont Buchverlag 2020, 208 Seiten, 20 Euro
eBook 14,99 Euro