Antonia Bontscheva
Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere
„Gedankenfetzen, winzige, spitze Glassplitter flogen durch meinen Kopf, drangen in mein Inneres, stachen, blieben stecken und schmerzten.“
Erinnerungen an die Heimat
Schuldgefühle plagen die junge Frau, die mit ihrem Mann Sergej und der kleinen Tochter Mitte der Neunziger Jahre von Ost-Berlin nach Bremen zieht, Schuldgefühle, weil sie ihren Mann betrügt und zutiefst unglücklich ist - „Mein Kopf war leer, mein Inneres taub“. In dieser Lebenskrise schweift sie in der Erinnerung zurück, in ihr Heimatland Bulgarien und zu vielen Stationen ihres Lebens vor und nach ihrer Hochzeit, und nachdem ihr Vater gestorben ist, macht sie sich tatsächlich auf die Reise. Kurz vor der Wende hatte sie mit Sergej ihr Land verlassen, und jetzt lässt sie ihre Motive Revue passieren und seziert ihre Gefühle mit einer Mischung aus sarkastischer Härte, Verlorenheit und feinem Gespür für unvermeidliche Prägungen.
Mit ironischem Abstand
Bemerkenswert ist dabei Bontschevas Sprache, die körperliche Erfahrungen der Frauen ihrer Familie ebenso originell erfasst wie die Schönheit der verlassenen Heimat, die eben keine heitere sein kann. Dabei konterkariert sie orientalischen, bilderreichen Überschwang immer mit ironischem Abstand und sorgt so für eine durchgehend reizvolle Spannung. Als sie einen Besuch mit Sergejs Familie an der Schwarzmeerküste heraufbeschwört, erinnert sie sich, dass das Meer dort keine Lügen duldet:
„Dennoch lag ein hauchdünner Schmerz überall. Der Sommer schickte sich an, Abschied zu nehmen. Er hatte den Glanz der flimmernden Luft getrübt, um die Schultern der Kalksteinhügel einen Grauschleier gelegt, auf den betagten Steinleib der Mole den Staub der Melancholie gestreut… Die Schönheit von Baltschik ist weise und irgendwie dramatisch. Die Schönheit von Baltschik bricht einem das Herz.“
Irrtümer der Vergangenheit
Die vielbeschworene Schönheit der Frauen bedeutete hingegen eher Druck und säte Selbstzweifel, etwa wenn die erzählfreudige Großmutter Denka zum Sinnbild weiblicher Schönheit stilisiert wurde, zum Ideal, das niemals erreicht werden konnte und das Selbstbild der Erzählerin grau und durchschnittlich erscheinen ließ. Doch auch hier schafft die Autorin viel Raum, um die blinden Flecken in der Familienerzählung aufzudecken. Ihre Reise führt sie in die Vergangenheit des kommunistischen Landes, in dem die Frauen zwar gleiche Rechte und Berufschancen hatten, aber auch die Hauptlast tragen mussten. Vieles blieb dabei auf der Strecke, und die Ich-Erzählerin konfrontiert sich mit den Irrtümern der kommunistischen Vergangenheit Bulgariens ebenso wie mit den Herausforderungen der Migration.
Traumata der Geschichte
Mitunter gerät das etwas weitschweifig, doch findet Antonia Bontscheva immer wieder zurück zu den Spuren, die die Traumata der Geschichte in den Familien hinterlassen haben. In Baltschik schließt sich der Kreis, als sie mit ihrer Mutter ins wahrhaftigere Gespräch kommt:
„Ich weiß, dass ich dir nicht immer eine gute Mutter war“, sagte sie nach einer Weile. „Wie denn auch? Als du zur Welt kamst, war ich selbst noch ein Kind, verliebt in einen Mann mit einer schwierigen Geschichte… Man kann nicht lieben, wenn man Angst hat. Nicht ein Kind. Nicht einen Mann. Nicht sich selbst. Nicht das Leben.“
(Lore Kleinert)
Antonia Bontscheva, geboren in Varna/Bulgarien, Studium der Germanistik in Berlin, Deutschlehrerin und Journalistin, lebt in Bremen
Antonia Bontscheva „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“
Roman, Frankfurter Verlagsanstalt 2021, 416 Seiten, 24 Euro
eBook 15,99 Euro