Hans Platzgumer
Bogners Abgang
Andreas Bogner ist Maler mit Hang zu ungewöhnlichen Motiven. Er plant einen Bilderzyklus über die Pistole. Selbst besitzt er keine, aber sein Schwiegervater leiht ihm eines seiner streng gehüteten Exemplare – eine Walther PPK 7,65 mm, geladen.
Unverstandener Künstler
„Ich will die Waffen in ihrer Brutalität porträtieren, ihre Persönlichkeit herausschälen, nicht Stillleben produzieren. ... Diese Waffe verführt den Betrachter. Eine Versuchung. Sie will benutzt werden. Sie ist schön und plump zugleich. So anziehend sie wirkt, so abstoßend ist sie."
Bogner ist auch sonst ziemlich verschroben, ein einsamer, von sich selbst überzeugter Mann. Er ist glücklos verheiratet, hat geerbt, muss von seiner Kunst nicht leben, ein überaus privilegierter Zustand. Aber er braucht Beifall, öffentliche Anerkennung. Die erhofft er sich vom Kunstkritiker Kurt Niederer, der das Gegenteil tut. Bogner fühlt sich zutiefst unverstanden, als er eine von ihm entwickelte Computeranimtion über die Zunahme der Weltbevölkerung als rassistisch gefärbte „banale schwarz-weiß-denkende Kunstinstallation, die an veraltete Kindertrickfilme erinnert" in der Luft zerreißt:
„Andreas M. Bogner ist einer jener elitären, in die Jahre gekommenen Rich Kid Artists, die im Grunde keinen Strich tun müssten und dennoch jene Striche, die sie mehr aus Langeweile denn Überzeugung zu Papier bringen, in berufsjugendlicher Selbstüberschätzung als Beitrag zum politischen Diskurs empfinden."
Mütterliche Unterstützung
Und es gibt eine dritte Person in diesem knappen Roman, der sich zum Krimi entwickelt: Nicola, eine junge, auch eher einsame Studentin, lässt sich ausnahmsweise mal zum Aperol Spritz überreden – es bleibt nicht bei einem, und leichtsinnigerweise setzt sie sich trotzdem ins Auto, um zu ihrer Mutter nach Bregenz zu fahren:
„Unaufhörlich flackerten dieselben Bilder vor ihrem inneren Auge auf. Immer wieder dieselbe Szene. Der Knall. Das kurz aufblitzende Gesicht dieses Fußgängers."
Sie hat einen Mann angefahren, der, wie sich später herausstellt, 1,24 Promille im Blut hatte, und danach Fahrerflucht begangen. Ihrer Mutter gesteht sie, was passiert ist, und trifft auf Verständnis. Die fährt den Wagen absichtlich gegen die Wand, um ihn anschließend zu verkaufen. Das Unfallauto gibt es nicht mehr.
Platzgumer betrachtet das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven, nähert sich den zunehmend dramatischen Emotionen Bogners, der sein Leben einem Therapeuten erzählt, die Demütigung durch den Kunstkritiker irgendwann nicht mehr ertragen kann und mit seiner Pistole losstürzt, während Nicola zwar angstvoll und voller Schuldgefühle, aber doch dankbar ihre Mutter alles regeln läßt. Am Ende sind beide Leben auf tragische Weise miteinander verknüpft.
Das Sterben porträtieren
Platzgumer konstruiert eine Geschichte um Verletzung und Rache, Moral, Schicksal und Zufall. Er läßt Bogner, der zwischenzeitlich in einem Hotelzimmer ein nahezu aberwitziges Experiment mit Trockeneis unternimmt, um dem Sterben auf die Spur zu kommen und es hinterher mit dem Kohlestift zu zeichnen, zwischen Verstand und Irrsinn pendeln:
„Welch Abenteuer lag in dieser Performance! Bogner bekam schweissnasse Hände. Welch hohen Grad der Selbstbestimmung er bewies. Entweder würde er liegen bleiben, für immer, oder sich aufrichten. Die Entscheidung lag allein bei ihm ... Der Tod war nicht länger ein unabwendbares Schicksal, sondern lediglich eine Option. Eine Willensfrage. Bogner stand es frei, sich für oder gegen das Sterben zu entscheiden. Er war kein Selbstmörder, sondern Porträtist des Sterbens."
Drei Personen, ein Unfall, Verantwortung und Schuld – auf gerade mal 144 Seiten blickt Platzgumer tief in wunde Seelen und stellt große Fragen, ohne Antworten zu liefern. Die muss der Leser in diesem spannenden kleinen Lehrstück schon selbst finden.
(Christiane Schwalbe)
Hans Platzgumer *1969 in Innsbruck, österreichischer Musikwissenschaftler, Komponist und Schriftsteller, lebt in Bregenz
Hans Platzgumer „Bogners Abgang"
Roman, Zsolnay 2021, 144 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Hans Platzgumer
"Am Rand"