Iris Hanika
Echos Kammern
Preis der Leipziger Buchmesse 2021
Am meisten war wohl Iris Hanika selbst überrascht, als ihr in einer Videoschaltung der Preis der Leipziger Buchmesse zugesprochen wurde, jedenfalls lachte sie so herzhaft, als hätte man einen guten Witz gemacht.
Wildes Spiel
Eigentlich habe sie einen „ordentlichen" Roman schreiben wollen, "aber eben mit möglichst unwahrscheinlichen Wendungen, so dass man nicht denkt, er wäre realistisch", sagte sie mal - und in der Tat, das ist ihr gelungen. Denn „ordentlich" im Sinne einer Struktur ist dieser Roman ganz und gar nicht, eher ein wildes, fröhliches und sehr ungeordnetes Spiel mit alten Mythen und modernen Menschen in einem Großstadt- und Liebesroman, in dem man nicht alles immer gleich versteht. Nichts in diesem Buch ist wirklich vorhersehbar.
Heldin Nr. 1 heißt Sophonisbe, die in New York nach Inspiration und Erkenntnis sucht - wie einst Iris Hanika selbst, die mal ein paar Monate in New York gelebt und mit Schrecken festgestellt hat, wie sehr die dort nahezu vollendete Gentrifizierung sich auch in Berlin breitgemacht hat. Weshalb Sophonisbe der Heldin Nr. 2 dann auch in Berlin begegnen wird, einer gleichaltrigen und gleichermaßen suchenden Frau, die den schönen Namen Roxana trägt. Beide sind über fünfzig, mitnichten krisengeschüttelt ob vergangener Jugendlichkeit, sondern offen für Abenteuer und Begegnungen jeder Art. Bekannt geworden ist Sophonisbe durch ihr Buch „Mythen in Tüten", ein Gedichtband, dem dringend etwas Neues folgen muss, denn seitdem ist sie festgelegt auf die Neuinterpretation des Mythos von Echo und Narziß:
„'Echo und Narziß' war das Etikett, das auf ihr klebte, sie war die, die es umgedreht, die weibliche Seite in den Vordergrund gestellt, den akademischen Feministinnen schönes Material geschaffen hatte ...”
Jüngling trifft Nymphe
In New York geht's dann auch gleich ungewöhnlich los, die Dichterin wird von engelsgleicher Frau zu einer großen Party von Pop-Lady Beyoncé geführt, hinein in den Celebrity Crush amerikanischer Promi-Parties mit Drinks und Smalltalk, Glitzer und Glamour und vielen Menschen mit viel, viel Geld. Mittendrin ein bildschöner Jüngling, Josh, der über die Geschichte der Ukraine promoviert. Ein moderner Narziß, wie sich herausstellt, in sich selbst verliebt, der später in Berlin, wohin es ihn mit Hilfe von Sophonisbes reichen Freunden verschlägt, einer Nymphe begegnet, die ihn anhimmelt – sprachlos. Es ist Roxana, Sophonisbes Vermieterin, die mit Ratgeberliteratur reich geworden ist, mit unglücklichen Liebesgeschichten ausreichend Erfahrung hat und von Josh überwältigt ist – aus Narziß und Echo in Ovids Metharmorphosen macht die Autorin ein ungewöhnliches Berliner Paar. Sophonisbe hält Josh allerdings für einen Schnösel, in dessen Jugend sich Roxana verknallt hat:
„Ich meine damit, daß du nicht ihn meinst, sondern dich, daß du nur deine Wünsche auf ihn projizierst, daß du dich auf ihn projizierst und darum in Wirklichkeit gar nicht ihn siehst, wenn du ihn anschaust, sondern dich. ...In Wirklichkeit hast du dich gar nicht in ihn verknallt, sondern in dich.”
Literarisches Wimmelbild
Überhaupt wimmelt es in diesem Roman nur so von (literarischen) Anspielungen, Metaphern und sozialen Vergleichen – griechische Mythologie trifft auf Popkultur, irritierte Dichterin trifft reiche Freunde, aus einem Adolf wird mit Blick auf die Nazivergangenheit Deutschlands ein Bedolf, später Alf, der mit seiner Frau luxuriös in der Upper East Side wohnt:
„In Berlin sind solche Wohnungen mehr oder weniger normal, während sie in New York anzeigen, daß man es geschafft hat, und zwar wirklich. ... Hier ist menschenwürdiges Leben möglich.”
Sophonisbe selbst haust in einer winzigen Wohnung,"zum Sonderpreis von nur achttausend Dollar für zehn Wochen gemietet." New York, das ist die Stadt des Hardcore-Kapitalismus und es wird nicht lange dauern, dann geht es in Berlin genauso zu. Und als ob das alles nicht schon genug Stoff hergäbe für diese durch und durch abgefahrene Geschichte um Jugend und Schönheit, Alter und Reife, Gewinn und Verlust, schreibt Sophonisbe – zum Glück nur im ersten Teil – in einer Kunstsprache. Dem englischen Wort language nachempfunden, machte daraus ein deutsch-amerikanischer Journalist 1925 „Die schönste Lengevitch” - Gedichte in einem Mischmasch aus deutsch und englisch.
Bei Sophonisbe hört sich das so an:
„Bevor ich gereist bin nach New York, ich war in Sorge. Weil war das große Reise über Atlantik und war das auch lange Reise. ... Fast jeden Tag ich habe geschrieben, dass ich habe Angst vor Reise. Eine Woche vor der Termin von Abreise war großer Sturm von Schnee in New York. Flughafen war geschlossen und und Leute sind gefahren mit Ski in Stadt."
Ein gänzlich unkonventioneller Roman, kritisch, kunstvoll und verspielt, heiter und ironisch, offensichtlich mit großem Spaß an Sprache und Motiven geschrieben. Ihn zu lesen ist nicht unanstrengend, aber vergnüglich und immer wieder überraschend.
(Christiane Schwalbe)
Iris Hanika *1962 in Würzburg, Schriftstellerin, lebt in Berlin
Iris Hanika „Echos Kammern"
Roman, Literaturverlag Droschl 2020, 240 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Iris Hanika
"Das Eigentliche"
"Treffen sich zwei"