Shida Bazyar
Drei Kameradinnen
Kasih, Saya und Hani kennen sich seit ihrer Pubertät. Aufgewachsen sind sie in einer hässlichen Hochhaussiedlung am Stadtrand, einem „sozialen Brennpunkt". Hier zu wohnen ist ein Stigma. Alle Wohnungen waren gleich eng und häßlich, niemand hatte hier ein Privatleben, "dafür war in diesen Wohnungen einfach zu wenig Platz."
Aus welchem Land
„Der ewige Geruch dieser Wohnungen, der Geruch von Füßen, alter Tapete und getrockneten Kräutern, die sich, je nachdem, bei wem wir waren, noch mal unterschieden. So, wie sich die Sprachen unserer Mütter und der Geschmack ihrer Gerichte unterschieden.”
Die drei jungen Frauen gehören nicht zur „weißen Dominanzgesellschaft”, auch wenn sie alle Voraussetzungen dafür mitbringen – Schule, Studium und Ausbildung, Beruf. Kasih, die Erzählerin, ahnt von vornherein, was wir LeserInnen denken, kriecht hinein in unsere Vorurteile und Erwartungen.
„Ihr wartet auf den Moment, in dem ich erkläre, wer von uns aus welchem Land kommt. ... Ich sage euch dazu nichts. Da müsst ihr durch....Ihr werdet alles, was ich sage, ein wenig anzweifeln und euch vergewissern, dass ihr es besser wisst. Ihr habt vielleicht recht, genauso wie ich. Ich habe recht, und ich habe beim Schreiben manchmal gelogen, okay, aber ich habe trotzdem recht, denn lügen und recht haben, das schließt sich nicht aus, auch bei mir nicht."
Hässlicher Alltag
Kasih erzählt leidenschaftlich, wütend und verzweifelt – von Hani, die ohne ordentliche Bezahlung in einer Werbeagentur für Tierwohl schuftet. Aus lauter Furcht, unangenehm aufzufallen, wehrt sie sich nicht gegen ihre arroganten Kollegen, die ihr einen Haufen Arbeit zuschieben, die sie selber machen müssten. Kasih erzählt von sich selbst, von ihrem Freund, der sie verlassen hat, vom Jobcenter und von der wachsenden Hoffnungslosigkeit, trotz eines erfolgreich abgeschlossenen Studiums eine Stelle zu finden. Und sie erzählt von Saya, die für einen Verein arbeitet, der Workshops für aktive Berufsberatung und Perspektiven an Schulen anbietet. Saya interpretiert die Perspektiven um einen entscheidenden Blickwinkel,
„in welche Strukturen (jeder Einzelne) hineingeboren wurde und welche Privilegien und Benachteiligungen damit verbunden waren. Dafür brauchte sie Beispiele, Millionen hässliche Beispiele aus dem hässlichen Alltag einer nicht-weißen Frau.”
Diese Beispiele sammeln alltäglich auch Hani und Kashi – und die haut sie uns um die Ohren.
Saya ist besessen vom Kampf gegen den Rechtsradikalismus, dies insbesondere vor dem Hintergrund des gerade beginnenden NSU-Prozesses gegen rechte Terroristen, die über Jahrzehnte hinweg Menschen mit Migrationshintergrund ermordet haben, ohne dass sie ernsthaft verfolgt wurden. Sie treibt sich nahezu süchtig auf einschlägigen Internetportalen herum und ist oft rasend vor Wut.
„Ich konnte einfach nicht aufhören zu lesen ...es ist so absurd, es ist so unglaublich, wie sie ihr Leben beschreiben, wie sie sich im Chat darüber austauschen, wen sie wann töten, und dass sie sich selbst töten, wenn alles herauskommt, ich kann nicht aufhören, es zu lesen.”
Aber wird sie deshalb auch kriminell? Diese Spannung hält Shida Bazyar bis zum Schluß aufrecht.
Leidenschaftliche Anklage
Mit jedem Satz, mit jeder neuen Episode aus dem ganz und gar nicht gradlinig erzählten Leben der drei Frauen klagt Kashi an, will ihre LeserInnen aus der vermuteten Lethargie aufrütteln, beschimpft sie, ahnend, dass sie nicht abspringen werden, weil ihr Ton so herausfordernd ist. Schließlich will man wissen, ob Saya, die gerade aus dem Knast gekommen ist, sich tatsächlich radikalisiert hat und für den „Jahrhundertbrand in der Bornemannstrasse” verantwortlich ist, von dem eine fiktive Zeitungsnotiz zu Beginn des Romans berichtet. Die Erzählerin lässt uns nicht in Ruhe, wechselt zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen radikalen Vorwürfen und tradierten Denkmustern, die die weiße Mehrheitsgesellschaft nur ungern in Frage stellt:
„Schon klar, ihr seid nicht so, ihr stellt euch das gar nicht vor, denn ihr habt ja eine Weile geholfen, Kleider zu sortieren und Kuscheltiere zu verteilen, solche Vorurteile habt ihr nicht mehr. Ihr wart nämlich bei euren Hilfsaktionen zu allen nett, auch zu den Leuten, vor denen ihr euch ein wenig gefürchtet habt, ihr wart ganz tapfer liebevoll auch dann noch, als ihr euch gefragt habt, ob Terroristen unter euren Schutzbefohlenen sind, dann wart ihr zwar immer noch liebevoll, aber eben auch Rassisten, liebevolle Rassisten.”
Gemeinsam kämpfen
Dieser Roman ist zutiefst ehrlich - in seinem Entsetzen über strukturellen Rassismus und Ausgrenzung ebenso wie in der Beschreibung einer tiefen Freundschaft, in der die drei Frauen bedingungslos füreinander da sind, sich gemeinsam gegen Enttäuschung, Diskriminierung und Demütigung zur Wehr setzen, sich trösten und stützen im Kampf gegen Ignoranz, Ablehnung und Hass. Ein kompromissloses, entlarvendes Buch, das unter die Haut geht, den Blick schärft für rassistisch motivierte soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft, in der sich jeder von uns nur zu und zu gern abgrenzen möchte von solchen Vorwürfen. Der Titel „Drei Kameradinnen” ist nicht zufällig gewählt, erklärt die Autorin in Interviews, steht er doch im Krieg für gemeinsames Kämpfen, für Solidarität und Beistand in Not und Gefahr. Kameradschaft ist aber auch bestimmend für extrem rechte Gruppierungen – beides wird hier verknüpft zu einem radikalen, auch in seiner Form beeindruckenden Roman.
(Christiane Schwalbe)
Shida Bazyar *1988 in Hermeskeil bei Trier, deutsche Autorin, lebt in Berlin
Shida Bazyar „Drei Kameradinnen"
Roman, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro, AudioCD 15,79 Euro
Weiterer Buchtipp zu Shida Bazyar
"Nachts ist es leise in Teheran"