Shida Bazyar
Nachts ist es leise in Teheran
Der Iran 1979 – der Schah ist vertrieben, das Land hofft auf einen Neuanfang, auf Freiheit und Demokratie. Aus den Schulbüchern werden die Seiten mit dem Schah herausgerissen, sein Foto wird abgehängt. Das Land gehört wieder den Menschen, nicht einem "König der Könige".
Eine neue Zeit
"Die Revolution wird jede Woche älter, und sie hat doch noch längst nicht angefangen. Der Schah ist weg, und wir sind am Beginn einer neuen Zeit, eines neuen Systems, einer neuen Freiheit, die wir nun vorbereiten",
sagt Behsad, Sprecher der kommunistischen Bewegung. Aber der Traum ist nur von kurzer Dauer, die Mullahs übernehmen die Macht, die Freiheitskämpfer werden nun von den geistlichen Herrschern verfolgt.
"Wir haben die Bücher unter ihrem Rock versteckt, … damit die Nachbarn nichts bemerkten, wenn sie in den Hof schauten und sich an den Aufruf der Ayatollahs erinnerten, jeden zu denunzieren, der konterrevolutionäres Gedankengut in seinen Regalen verwahrte."
Düfte der Heimat
Behsad und Nahid flüchten zusammen mit ihren beiden Kindern nach Deutschland. Sie erinnern sich an die ständige Angst, entdeckt zu werden, an die Flugblätter im Kofferraum, an die zitternde Hand der helfenden Schwiegermutter. Jetzt sitzen sie bei Freunden mitten in der Provinz, freundliche Gutmenschen, ökologisch-links orientiert. Ulla geht es um verseuchtes Gemüse nach Tschernobyl, Nahid um Freunde und Verwandte im Iran, die bedroht, verhaftet und ermordet werden. Ihre Bilder im Kopf erzählen von mit dem Tschador verhüllten Frauen vor Gefängnistoren, die nach ihren Kindern rufen, aber auch von den typischen Speisen in Teheran, den Düften aus der Heimat, die manchmal sogar nach Deutschland kommen – in einem Paket mit Berberitzen und Gewürzen und Tee.
Widerspruch in der Fremde
"In diesem Land, haben sie alles", sagt Behsad, "es gibt keinen Grund sich zu politisieren" und seine Frau widerspricht - in Gedanken:
"Hier steckt man Menschen wie Behsad und mich in Heime, in denen man weder arbeiten noch lernen noch sonst was tun darf. Sie wundern sich nicht einmal über die Menschen, die in Pappbechern vor McDonald's Geld sammeln, wo dieses Land doch wirtschaftlich so stark ist. Behsad hat in diesem Punkt eindeutig unrecht, es gebe schon einen Grund sich zu politisieren, es gibt nur keinen Drang."
Als Leser mittendrin
Shida Bazyar schildert aus den vier Perspektiven der beiden Eltern und der Kinder – Tochter Laleh und Sohn Morad - und mit jeweils zehnjährigem Abstand das Leben im Iran und in der Fremde, verknüpft Vergangenheit und Gegenwart der Familie, die Sehnsucht nach der Heimat, die Verlorenheit in Deutschland. Mutter und Kinder besuchen den Iran für ein paar Wochen ohne den Vater. Und wenn Laleh von all' den ungewohnten Erlebnissen im Kreis der iranischen Verwandtschaft erzählt, von der Verschleierung über Enthaarungsprozeduren bis hin zum unbequemen Sitz auf dem Fußboden, um ein Festtagsmahl zu zelebrieren, dann sind wir als Leser plötzlich mittendrin und erleben mit, was die Tochter bislang nur aus den Erzählungen der Eltern kannte:
"Nachts ist es leise in Teheran. Tagsüber so laut. So laut die Menschen im Haus, so laut ihr Sprechen, wenn es um Unwichtiges, so laut ihr Zögern, wenn es um Wichtiges geht. So laut ihr Lachen, ihre Zurufe, so laut ihre Höflichkeitssätze, die sie auswerfen, als wäre es ihr Atem ... so laut das Klappern von Geschirr ... Draußen die Straßen, ein schrecklicher Lärm, die überfüllten Fahrbahnen, das Hupen ... das Brüllen und Fluchen der Menschen, die schwere Luft ..."
Schmerzhafte Trennung
Mit ihrem Debütroman gelingt der Autorin ein Kunststück: Sie verbindet in dieser Familiengeschichte, die zu großen Teilen auf ihrer eigenen beruht, zwei Kulturen miteinander. Sie verknüpft die sehnsuchtsvollen Erinnerungen mit den realen Erfahrungen der durch Verfolgung erzwungenen Migration, die Mühsal, sich zurecht zu finden, mit der langsamen Veränderung hinein in die neue Gesellschaft. Neben der selbstverständlichen Integration der Jüngeren in die moderne Gesellschaft - Tara, die Jüngste, wurde in Deutschland geboren und kommt im Epilog zu Wort - steht der jahrelange schmerzhafte Trennungsprozeß der Älteren, die ihren Aufenthalt in Deutschland ursprünglich nur als zeitlich begrenztes Exil geplant hatten.
Neue Gemeinsamkeit
Shida Bazyar hat einen faszinierenden und vielschichtigen Roman geschrieben, in dem sie mit Klugheit, Empathie und großer erzählerischer Kraft die Geschichte von Flucht, Vertreibung und Anpassung schildert - aber auch die Chance der Entwicklung einer neuen Gemeinsamkeit. Ein hochaktuelles und sehr politisches Buch, in dem wir viel über den Iran und seine Entwicklung lernen können, aber auch über den langen Atem der Integration.
(Christiane Schwalbe)
Shida Bazyar *1988 in Hermeskeil b. Trier, deutsche Autorin, lebt in Berlin
Shida Bazyar "Nachts ist es leise in Teheran"
Roman, Kiepenheuer & Witsch 2016, 288 Seiten, 19,99 Euro
e-Book 17,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Shida Bazyar
"Drei Kameradinnen"