Caroline Peters
Ein anderes Leben
Drei Töchter, drei Väter und eine Mutter: Hanna. Sie hat mit drei Freunden studiert, Lexika verkauft, sie dann nacheinander geheiratet und von jedem eine Tochter bekommen. Familienplanung? Ein Fremdwort. Wie "Patchworkfamilie", die in den 60er und 70er Jahren gesellschaftlich nicht akzeptiert war. Aber Hanna ist anders, sie schert sich nicht um Konventionen.
Mütter dichten nicht
Und doch ist sie beim dritten Ehemann Peter, genannt Bow, Hausfrau und Mutter, die eigene Bedürfnisse und Sehnsüchte beiseite schiebt. Dabei liebt sie ihre Freiheit über alles, würde am liebsten nur Gedichte schreiben und Bücher lesen, russische Avantgarde vor allem. Slawistik und Germanistik hat sie studiert, übersetzt leidenschaftlich gern Gedichte. Aber:
„Eine verheiratete Frau mit drei Töchtern konnte sicher keine ernst zu nehmende Übersetzerin oder gar Dichterin sein. Wie denn? Sie war eine Mutter. Und Mütter dichten nicht. Mütter tragen riesige Immer-was-dabei-Taschen herum für Kinder, die sich einpinkeln und bekleckern."
Später Erfolg
Für Bücher ist eigentlich keine Zeit in diesem Leben, aber für Hanna sind Romane überlebenswichtig. Und Lexika. Die sind - so erzählt es die jüngste Tochter - nicht zum Nachschlagen da. Hanna liest sie, Seite für Seite. Glücklich ist sie, wenn sie inmitten von Bücherregalen in der Uni-Bibliothek arbeiten und nebenbei auch mit Studenten flirten kann. Und Platz hat. Denn zuhause gibt es kein eigenes Zimmer für sie, das hatte Bow bei der Planung vergessen. Dafür aber eine Küche nach amerikanischem Vorbild, in der sie schalten und walten kann.
„Bow hat nie ein Wort darüber verloren, dass er seiner Ehefrau die Erlaubnis unterschreiben musste, eine Arbeitsstelle anzunehmen. Er hat aber auch nie ein Wort darüber verloren, wie absurd es war, dass er diese Erlaubnis zu erteilen hatte. Und noch weniger darüber, dass es selbstverständlich Hannas Aufgabe war, jeden Tag ein frisch gekochtes Mittagsessen auf den Tisch zu stellen...
Bis Hanna aussteigt aus der Familie, sich ihr eigenes Leben sucht, in allem nur noch sich selbst verpflichtet ist und Bücher schreibt. Mit Erfolg.
Sekt im Bett
An Bows Seite war sie die Extrovertierte, die Diva, die Angeberin, der „Familienmuli", die „cremefarbene Gattin". Als Mutter konnte sie ebenso gnadenlos wie fürsorglich sein. Wichtig waren die kleinen Freiheiten, die Caroline Peters als komische und berührende Anekdoten erzählt – Wodka aus kleinen Gläsern, die man, hinter sich werfend, zerbrechen konnte, der Kauf von Abendkleidern oder die Einladung wildfremder Passanten zum Mittagessen „in einem Anfall von Wahnsinn", wie Hanna es nannte, gewagte Autofahrten ohne Sicherheitsgurte mit der „Ente", der unterwegs häufig das Benzin ausging, Sekt im Bett am Sonntagmorgen aus der Kaffeetasse und „Puschkins „Eugen Onegin" vor der Nase. Später dann Reisen mit Bow, nach Amerika und Moskau, und Postkarten an „Lauralottakleine", die von den Großmüttern betreut wurden, die es in dieser Familie ja auch noch gab. Sie gehören zur Kriegsgeneration, geprägt von einem „Meer aus Toten", über das beharrlich geschwiegen wird. Man schaut nach vorn, will ankommen im Wirtschaftswunder. Um Bildung geht es jetzt und um eine gute Erziehung. Fakten aus der Vergangenheit gibt es trotzdem, nicht immer freundliche.
Erinnerungen
Es ist ein wunderbar heiterer und leichter Roman, der nachfragt und hinhört, Erinnerungen sucht, findet und wieder verwirft, erzählt aus der Perspektive der jüngsten Tochter, die sich auf Spurensuche begibt, Sackgassen inklusive.
„So viele Erinnerungen. In Teilen, Fetzen, Stückchen. Vielleicht gelingt es mir eine Zeitleiste herzustellen, an der ich ablesen kann, was passiert ist, wie eine Geschichte auf die andere folgt und was alles dazu beigetragen hat, dass Hanna am Ende in der Flaschenpost gelandet ist."
Versenkt in der Ostsee. Hanna hasste Begräbnisse. Auch so ein Stückchen, ein Fetzen, eine Erinnerung, von der nicht jeder in der Familie wissen muss.
(Christiane Schwalbe)
Caroline Peters, *1971, zählt zu den bekanntesten deutschen Schauspielerinnen, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, seit 2024 erneut im Ensemble des Wiener Burgtheaters
Caroline Peters "Ein anderes Leben"
Rowohlt, Hamburg 2024, 240 Seiten, 23 Euro
eBook 19,99 Euro, HörbuchCD 21,22 Euro