Wolf Haas
Wackelkontakt
„Escher legte auf und hoffte, dass er noch einmal einschlafen könnte, wenn er ein paar Seiten las. Auch Ala hatte eine zu kurze Nacht. Sie war zum ersten Mal allein in einem Hotelzimmer. Sie konnte nicht schlafen. Das Buch war einfach zu spooky. Etwas stimmte nicht damit. Wie wenn man durch ein Fernglas schaute, aber verkehrt herum. Dass einem schwindelig wurde.“
Wortspielkunst
Schwindelig könnte es auch den Leserinnen und Lesern von Wolf Haas‘ neuem Roman werden, denn wer darin gerade im besagten Buch liest, verfolgt die Geschichte des jeweils anderen, und wie im Universum der Endlosspiralen des M.C.Escher verknüpfen sich die beiden Geschichten immer abenteuerlicher und rasanter. Die Wortspielkunst des Autors zeichnet all seine Romane aus, sein Humor und die Unvorhersehbarkeit des Plots sind hier auf die Spitze getrieben. Franz Escher, ein unspektakulärer und eigenbrötlerischer Trauerredner, ist seit seinem neunzehnten Geburtstag dem Puzzeln verfallen und dreißig Jahre später längst ein Virtuose geworden. Am Beginn seiner Leidenschaft stand ein Bild seines Namensvetters.
„Escher hatte nur noch Interesse an dem Gestalt annehmenden Kartonbild aus tausend Teilen. Zwei Hände, die sich gegenseitig zeichneten, ein Wahnsinn, der sich mit zunehmendem Alkoholgenuss zum metaphysischen Erlebnis steigerte.“
Auch ohne Alkohol steigert sich die Geschichte in abenteuerliche Höhen: Während Escher auf einen Elektriker wartet, liest er über einen jungen italienischen Mafioso im Zeugenschutzprogramm, der dem Gefängnis und seiner Familie entkommt, als Marco Steiner ein neues Leben in Deutschland beginnt und ebenfalls in einem Buch liest, über einen gewissen Franz Escher. Steiners Tochter Ala ergattert das Buch, erfährt vom Leben ihres Vaters in Sizilien und macht sich auf den Weg.
Fakten und Fantasie
„Wackelkontakt“ spielt mit Zeit und Raum, durchquert beides in Escherscher Manier, so dass Anfang und Ende aus dem Blick geraten und sich dennoch immer kunstvoller verzahnen. Tod und Leben begegnen sich, wie, das soll keinesfalls verraten werden, und zugleich ist Haas‘ Roman eine fesselnde Reflektion über das Lesen und das Schreiben, die Fakten und die Fantasie.
„Natürlich konnte man als Trauerredner auch nicht einfach etwas erfinden. Es ging darum, mit seinen Worten den Übergangsbereich zu berühren. Die unsichtbare Nahtstelle zwischen den Welten des tatsächlich Geschehenen und des möglich Gewesenen. Wie ein Kletterer durfte man von diesem Grat nicht abrutschen und weder in den Himmel reinen Wortgeklingels noch in die Faktenhölle des gelebten Lebens stürzen. Der Kletterer blieb stehen, indem er gleichzeitig auf beide Seiten fiel.“
Auch die handelnden Personen sind mit ihren Marotten und Eigenarten gut getroffen und geraten bei allem Spaß nicht in Gefahr, zu Karikaturen zu erstarren. Wolf Haas weiß über Puzzle-Nerds, untergetauchte und aktive Mafiosi und enttäuschte Frauen ebenso gut Bescheid wie über aufsässige, wissbegierige Teenagermädchen und ihre Sprachmarotten: „Seit seine Tochter überzeugt war, von allem eine Ahnung zu haben, brachte sie in jedem seiner Sätze ein gedankenloses „keineahnung“ unter.“
Feuerwerk
Mit Wohlwollen betrachtet er sie alle, und mit dem gebührenden Abstand, der für den genauen Blick unerlässlich ist und all seine Romane auszeichnet. Wie in einem Puzzle fügt sich das Bild nach und nach zusammen, nicht alle Teilchen passen sofort, doch das sorgt für zusätzlichen Reiz und einen Spannungsbogen, dessen Logik sich aus ganz unterschiedlichen Elementen speist. Und wer wüsste nicht, welch gefährliche Schläge und Kurzschlüsse ein Wackelkontakt auslösen kann – in diesem Fall allerdings ein Feuerwerk an Sprachwitz und Einfallsreichtum!
(Lore Kleinert)
Wolf Haas, *1960 in Maria Alm/Salzburg, Autor von Romanen und neun Brenner-Krimis, lebt in Wien
Wolf Haas „Wackelkontakt“
Roman, Hanser Verlag 2025, 240 Seiten, 25 Euro
eBook 18,99 Euro