Christoph Peters
Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln
Zen bedeutet Hingabe, Konzentration, Versenkung. Zen ist für uns Mystik, für den nach Erleuchtung suchenden Buddhisten Lernen in Demut und Hingabe. Das ist nicht ohne Mühsal, ganz im Gegenteil.
Leichtigkeit des Seins
Keramikschüler Ernst Liesgang weiß darum, geht er doch in Japan jahrelang bei einem Meister in die Lehre, und übt sich in einer Fertigkeit, die dort bereits in der 15. Generation ausgeübt wird. Keramik ist nicht irgendein Handwerk, sondern Kunst. Feine Teeschalen und Becher zu brennen, erfordert einen besonderen Ofen, außergewöhnliche Fähigkeiten, Sensibilität und Geduld. Schließlich soll ein Teegefäß die Leichtigkeit des Seins symbolisieren, nicht die Last der Existenz.
Der Geist Japans, so lernt Liesgang von einem deutschen (!) Philosophen, ist "nicht zu verstehen, wenn man sich nicht mit den alten Handwerkskünsten befasse. Von diesen sei die Keramik ohne Zweifel die gewichtigste."
Von Japan an die Ostsee
Liesgangs Becher finden beim Meister keine Gnade, auch nicht das 600. Exemplar. Aber er gibt nicht auf und beschließt eines Tages, die hohe Kunst japanischer Keramik in Deutschland fortzusetzen – mit einem Anagama-Ofen, dem besten seiner Art. Herr Yamashiro wird ihm diesen Ofen in einem verschlafenen, norddeutschen Dorf an der Ostsee bauen und damit eine altehrwürdige Tradition in Deutschland etablieren. Weil seine Töchter um seine Gesundheit fürchten, reist er mit Köchin samt Familie an, damit er seine gewohnte japanische Kost bekommt.
Geister der Vergangenheit
Und nun beginnt eine ganz und gar eigenwillige Geschichte, in der Menschen fernöstlicher und westlicher Kultur lernen, ihre Grenzen zu überschreiten. Was nicht ganz einfach ist, denn nicht nur die Sprache trennt Deutsche und Japaner, auch Missverständnisse jeder Art erschweren den Umgang und die Geister des alten Pfarrhauses, auf dessen Gelände der Ofen entsteht, wehren sich gegen Zugriff und Vereinnahmung.
Herta Mölders Mettbrötchen
Während Herr Yamashiro sich begeistert Herta Mölders Mettbrötchen, Schnitzelchen, Kartoffeln und Frikadellen einverleibt, den Sake gegen einen ordentlichen Korn tauscht – gern darf es auch mal ein Birnenschnaps sein - beginnt der Ofen Form anzunehmen. Nicht ohne (zum Teil aberwitzige) Zwischenfälle, die mit west-östlichem Medizinverständnis zu tun haben, mit Esoterik, Aberglaube und Magie, mit deutscher Gründlichkeit und japanischer Hartnäckigkeit.
Interkulturelle Begegnungen
Die Geister, die Liesgang rief und Yamashiro mitbrachte, tanzen, toben und knallen zum Schluss in diesem traditionellen Ofen mit einer solchen Heftigkeit, dass einem Hören und Sehen vergeht - Ende offen.
Ein kluge, humorvolle und subtile Geschichte über explosive interkulturelle Begegnungen der besonderen Art.
(Christiane Schwalbe)
Christoph Peters *1966 in Kalkar/Niederrhein, Schriftsteller, lebt in Berlin
Christoph Peters "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln"
Roman, Luchterhand 2014, 224 Seiten, 18,99 Euro
eBook 14,99 Euro
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