David Safier
Die Liebe sucht ein Zimmer
David Safier, mit seinen „Miss Merkel"-Krimis berühmt geworden, hat mit „28 Tage lang" einen Roman über den Aufstand im Warschauer Ghetto geschrieben und stieß bei seinen Recherchen über zahlreiche Umwege und Zufälle auf den polnischen Autor Jerzy Jurandot, der die Komödie „Die Liebe sucht ein Zimmer" geschrieben hat.
Theater im Ghetto
Hunderte von Menschen stehen Schlangen vor einem fünfstöckigen Haus:
In dessen Keller das Femina-Theater lag.
900 Menschen passten in den Saal.
900!
Hier geschah im Januar und Februar 1942, was eigentlich unvorstellbar ist: Im „Femina" wurde bei bitterer Kälte die Komödie „Die Liebe sucht ein Zimmer" uraufgeführt: Die Geschichte von zwei Paaren, die sich ein Zimmer teilen müssen und unverhofft über Kreuz verlieben. Ein Lustspiel mit Musik und Gesang inmitten des Elends von Hunger, Krankheit und Tod, ständig in der Gefahr, von SS-Schergen angepöbelt, verprügelt oder erschossen zu werden, kurz vor der Deportation der Ghetto-Bewohner in die Vernichtungslager.
Tanz des Todes
Wir lernen Sara kennen, die junge Schauspielerin, die frierend durchs Ghetto läuft, in viel zu dünner Kleidung, aber sie besitzt nichts anderes. Für die Kinder im Waisenhaus hat sie mit Puppen aus Wollsocken Theater gespielt und ist zu spät dran, wird erneut aufgehalten durch eine Straßensperre. Deutsche Soldaten grölen einen Gassenhauer und klatschen. Dazu müssen
„ ... zwei alte Männer – ein Orthodoxer mit weißem Bart und grauen Schläfenlocken sowie ein Herr mit verbeultem Hut, aber feinem Anzug – zum Gesang der Deutschen mit gebeugten Knien und vor der Brust gekreuzten Armen eine Art Kasatschok tanzen. Beide Männer wirkten bereits sehr erschöpft, nur die Angst verlieh ihnen noch die Kraft, den Tanz des Todes weiter aufzuführen. ... Für Sara war es mitllerweile eine natürliche Ordnung: Der Himmel ist oben, im Wald stehen Bäume, die Deutschen sind Sadisten."
Sara hat Frostbeulen an den Händen, zittert vor Kälte und ist vor allem eins: aufgeregt, denn sie spielt ihre erste Hauptrolle. Bis hierhin war es ein weiter, harter Weg: Mit dreizehn Jahren wurde sie in die Ehe mit einem zwölf Jahre älteren Mann gezwungen, erlebte Schläge und eine traumatische Hochtzeitsnacht, lief weg und fand keinerlei Verständnis dafür bei ihren Eltern - "Mach uns keine Schande". Seitdem ist sie allein unterwegs, begegnet einer Schauspielerin, die sie unter ihre Fittiche nimmt und ihre beste Freundin wird, und Edmund, ihrer großen Liebe. Auch er ist Schauspieler und betreut seine kleine Schwester.
Lachen gegen den Schrecken
Das Theater ist bis auf den letzten der 900 Plätze besetzt. Die meisten Zuschauer hatten sich die zwei Zloty Eintritt vom Mund abgespart.
„Die Logen waren für Könige des Schwarzmarkts reserviert. ... Über der Loge saßen ... die Mitglieder des Judenrats. Sie waren die obersten Ghettoverwalter, eingesetzt von den Deutschen. Das Publikum im Saal sortierte sich in gewisser Weise nach gesellschaftlichen Schichten: Vorne die Wohlhabenden in feinen Anzügen, Kleidern und Mänteln, dahinter die einfachen Beamten der Verwaltung ... In den hinteren Reihen nahmen die Erschöpften Platz, die in den Werkstätten der Deutschen arbeiten mussten und dort unter anderem die Uniformen für ihre Peiniger der SS und der Wehrmacht nähten."
Safier machte aus dem Theaterstück, dem einzigen, das je im Ghetto geschrieben und aufgeführt wurde, zunächst ein Hörspiel, produziert bei Radio Bremen, nominiert für den deutschen Hörspielpreis. Auch im Roman bleiben die Bühnentexte im Original, und er baut um das Theaterstück herum die fiktive und berührende Geschichte von Sara. Denn sie muss sich entscheiden: für die Liebe oder die Flucht aus dem Ghetto.
David Safier hat mit diesem Roman nicht nur ein Theaterstück und damit seinen Autor vor dem Vergessen bewahrt, er schildert behutsam und genau das Leben und die Strukturen im Ghetto, das Leid der Menschen und die Kraft einer kleinen Gruppe, auf der Bühne zu unterhalten: 90 Minuten Lachen und Vergessen - ein kurzes, heilsames Aufatmen im Theater.
(Christiane Schwalbe)
David Safier *1966, Autor und Drehbuchautor, lebt in Bremen
David Safier "Die Liebe sucht ein Zimmer"
Rowohlt/Kindler 2025, 336 Seiten, 24 Euro