Heinz Strunk
Zauberberg 2
Grau-schwarze Wolken, schwarze Vögel und ein einsames Haus inmitten einer grün-grauen Landschaft: Das Buchcover schafft Stimmung - Düsternis und Einsamkeit und mittendrin ein Sanatorium – das zumindest darf man beim Titel des Romans mit Sicherheit annehmen, genauer: Es ist eine dreiflügelige Schlossanlage, „von zwei Säulen flankiert, auf denen steinerne Löwen hocken."
Polenrandgebiet
Auf dem Weg in diese Einöde ist Jonas Heidbrink, Millionär mit Angststörungen und Depressionen. Vielleicht leidet er auch nur an Langeweile oder Lebensüberdruss. Es ist Januar, es ist kalt und es schneit. Kein Arzt hat ihn hierher geschickt, kein Therapeut den Aufenthalt empfohlen. Seit einem halben Jahr bereitet er sich auf den Klinikaufenthalt mental vor. Aber ganz ohne Angst ist er nicht:
„Je näher er seinem Ziel kommt, desto mulmiger wird ihm. Eine unsichtbare Schlinge legt sich ihm um den Hals, sein Magen pulsiert, als versammelte sich ein Insektenschwarm in ihm. Noch fünf Komma fünf Kilometer. Hier ist wirklich nichts. Kein Haus, keine Maus. Kein Hof, keine Scheunen und Stallungen. Polenrandgebiet."
Also nicht Schweiz und nobles Lungensanatorium, sondern platte norddeutsche Ebene und Psychokrise. Ödnis eben, wie in Heidbrinks Seele – grundloses Weinen in der Badewanne, Panikattacken, schwarze Gedanken, sinnloses Grübeln, Pessimismus, Depressionen. Trotz behüteter Kindheit, einem erfolgreichen Start Up und einer genialen Idee, die ihn mit Mitte 30 zum Millionär gemacht hat. Weshalb er sich den Tagessatz von 823 Euro pro Tag mühelos leisten kann. Deutlich länger als die geplanten 30 Tage übrigens, weil sein Zustand das erfordert – vielleicht aber auch der Zustand der Klinik.
Eintopf - Zweitopf
Weil sein Leiden so wenig konkret ist, geben die Ärzte ihr Bestes bei der Diagnose und operieren schnellstmöglich ein angebliches Melanom am Bauch. Grund genug, zu googeln und noch weitere potenziell tödliche Krankheiten zu finden. Die OP ist erfolgreich, die Narbe lang, und Heidbrink darf sich an Klinikroutine gewöhnen – Frühstück, Mittag-, Abendessen, Vitalwerte, Meditationen, Gespräche mit Ärzten und als Sahnehäubchen die wunderbare Welt der Therapien und Stuhlkreise: Musik, Fotografie, Schreiben, Gespräche, Tanz und Bewegung - und immer wieder Entspannung, das Abenteuer Gruppe und gemeinsame Mahlzeiten im Speisesaal. Die mag Heidbrink genausowenig wie die Patienten, aber Menschen kann er sowieso nicht besonders leiden:
„Heidbrink sitzt, wie immer, mit dem Rücken zum Geschehen ganz allein an seinem Sechsertisch. Fangschreck serviert das Winteressen: Herzhafter Linseneintopf mit frischem Gemüse und geräucherten Würstchen. Köstlich. Das versöhnt mit vielem. Der schöne heiße Eintopf umschließt Heidbrinks Herz, sein Inhalt ist wie ein Konzentrat der Welt. Ich und mein Eintopf: Zweitopf."
Pech oder Schicksal
Strunk beschreibt ebenso genüsslich wie sarkastisch, oft auch liebevoll und fürsorglich einen Alltag im Sanatorium, der psychisch Kranke gesund machen soll, sie aber eher in den Wahnsinn treiben könnte, er zelebriert ärztliche Überheblichkeit und psychische Defekte als Teile einer bitterbösen Gesellschaftssatire. Denn in diesem Sanatorium werden vor allem Menschen behandelt, die mit dem Leben nicht mehr zurechtkommen, in therapeutischen Einzelgesprächen Rat finden sollen, wollen, meist nicht können:
„Die Jugend ist die Zeit des Glücks, die einzige im Leben. Und mit vierzehn ging es ohne ersichtlichen Grund abwärts. Pech. Oder Schicksal. Das, wonach man sich sehnt, kommt sowieso nicht, fertig, Ende, aus, es geht nicht darum, was man will, sondern womit man sich abfindet. ... Die einen finden Licht und Schönheit, die anderen Dunkelheit, Enge, Verfall."
Klingt trostlos, ist es auch, aber zugleich unterhaltsam. Denn was Strunk in seinem unnachahmlich schnoddrigen Tonfall an typischen Charakteren zusammenwürfelt, die an Leben und Gesellschaft verzweifeln und nun auf Gedeih und Verderb therapeutische Zeit miteinander verbringen müssen, ist meistens komisch, manchmal zynisch, in der Summe vergnüglich – und in diesem Jahr, in dem der 150. Geburtstag von Thomas Mann (6. Juni 1875) gefeiert wird, natürlich bestens platziert. Hier und da gibt es in dieser Hommage an ihn natürlich Erinnerungen an seinen Jahrhundertroman - aber die muss man weder suchen noch vermissen, um Spaß an der Lektüre zu haben.
(Christiane Schwalbe)
Heinz Strunk, *1962, deutscher Bestseller-Autor, Musiker und Schauspieler
Heinz Strunk "Zauberberg 2"
Rowohlt Verlag 2024, 288 Seiten, 25 Euro
eBook 21,99 Euro, Hörbuch 14,95 Euro