Dominik Barta
Vom Land
Theresa ist Bäuerin, um die 60 Jahre alt, sie lebt mit ihrem Mann auf einem Hof in Oberösterreich. Die Kinder sind längst aus dem Haus, die beiden sind allein und schaffen gemeinsam die alltägliche harte Arbeit. Aber dann, eines Tages: "Theresa rang nach Luft. Es ging nicht mehr … "
Neben einem Schweinestall
Totale Erschöpfung. Doch zunächst wird nach der Krankheit gesucht, die sie gar nicht hat – beim Arzt, beim Heiler. Ohne klares Ergebnis. Die Kinder kommen, zwei Söhne und eine Tochter, sie können nicht verstehen, dass es der Mutter wirklich so schlecht geht. So was gab es doch noch nie. Auch Erwin, ihr Mann, ist besorgt – nicht nur um das gesundheitliche Wohl seiner Frau. Ohne sie fehlt ihm eine wichtige Arbeitskraft auf dem Hof. Der Tochter passt das alles gar nicht, sie muss ihren Sohn unterbringen, „so krank kann sie doch nicht sein“. Einer der beiden Brüder kommt von weither, der Familie buchstäblich entronnen, aber nie ohne sie:
"Wie radikal ich mein Leben auch an fremden Gestaden aufgezogen hatte, die Macht der heimatlichen Wände beraubte mich jeder Unabhängigkeit. Ich wollte nicht bis an mein Lebensende darunter leiden, als Sohn von Erwin und Theresa Weichselbaum neben einem Schweinestall auf die Welt gekommen zu sein".
Er schämt sich für seine Herkunft, seine Familie, seinen Bruder, den die "rasante ökonomische Nachkriegsordnung in Österreich vom Schweinebauern zum Ingenieur katapultiert" hatte – ohne Freude am Reichtum allerdings. Was alle vereint in dieser Familie: Über Gefühle wird nicht gesprochen.
Hass auf Fremde
Es gibt noch eine zweite Geschichte: Der zwölfjährige Enkel Daniel, in der Schule eher ein Außenseiter, kommt gern zu den Großeltern, denn hinter dem Hof beginnt gleich der Wald. Hier begegnet er einem ungewöhnlichen Fremden:
"Er hatte gelbe Augen und ein dunkles Gesicht. Über den Lippen wuchs ihm ein feiner Schnurrbart. Das Kopfhaar kräuselte sich schwarz und bildete einen wilden Busch, wie ihn Daniel bislang nur bei Menschen im Fernsehen gesehen hatte. … Der Kontrast zwischen der Dunkelheit der Haut und den sehr weißen Zähnen hätte nicht größer sein können. Daniel sprang auf und rannte um sein Leben."
Toti ist ein 16jähriger Geflüchteter aus Syrien, er wird Daniels bester Freund und Großvaters helfende Hand. Er lebt mit anderen "muslimischen Flüchtlingen" im alten Wirtshaus, geschützt vom Pater, verfolgt von der rechtsradikalen "Bewegung" im Dorf, misstrauisch beäugt von alteingesessenen Dorfbewohnern, die das "Asylantenpack" nicht haben wollen. Und zutiefst verachtet von Max Weichselbaum, Daniels Onkel:
"In der Siedlung lebten seit kurzem Mohammedaner. Er sah zum dritten oder vierten Male dieselbe arabische Visage."
Scheinbare Idylle
Heimatgeschichte, Dorfgeschichte, Familienporträt, die politisch rechte Provinz, die Schnelligkeit, mit der traditionelle dörfliche Strukturen überrollt werden vom Drang überreizter Städter, sich auf dem Land eine Idylle mit Garten, Swimmingpool und Carport zu schaffen. Das ist viel für einen kleinen Roman von gerade mal 164 Seiten, vielleicht zuviel. Aber es ist ein Debüt, und ein ehrgeiziges dazu. Da darf es Ecken und Kanten geben. Dominik Barta, 1982 in Oberösterreich geboren, kennt die scheinbare Idylle einer einst stabilen und nun bröckelnden Dorfstruktur. Er kennt auch die "Typen" im Dorf und ihre Doppelmoral – die Tratscherei, die Argusaugen der Nachbarn, Neid und Mißgunst.
Motor der Familie
Das spürt man, das macht den Roman zum Mikrokosmos des sich wandelnden Lebens auf dem Land, unterwandert von all den negativen Einflüssen einer modernen Zeit. Auch daran erkrankt letztendlich das einst brave und schöne Bauernmädchen Theresa, das stets der Motor der Familie sein musste Und ihr Sohn begreift:
"Auch sie hatte eine Seele ... Sie sehnte sich nach diesem und jenem, und sie empfand, fühlte und verzweifelte bisweilen wie wir alle."
(Christiane Schwalbe)
Dominik Barta, *1982 in Oberösterreich, Germanist, Schriftsteller und Theaterautor
Dominik Barta "Vom Land"
Roman, Paul Zsolnay Verlag 2020, 164 Seiten, 18 Euro
eBook 13,99 Euro