Frank Schätzing
Der Schwarm
Das Meer schlägt zurück. In Frank Schätzings meisterhaftem Thriller erwächst der Menschheit eine unvorstellbare Bedrohung aus den Ozeanen. Frank Schätzing inszeniert die weltweite Auflehnung der Natur gegen den Menschen. Ein globales Katastrophenszenario zwischen Norwegen, Kanada, Japan und Deutschland, und ein Roman voller psychologischer und politischer Dramen mit einem atemberaubenden Schluss.
Nichts ist, wie es war
Die Nordsee - sturmgepeitscht oder glatt wie flüssiges Blei, den Gezeiten unterworfen, verlässlich in Ebbe und Flut, mit idyllischen Inseln vor der Küste - das Meer ist und bleibt ein Ort der Sehnsucht und Entspannung, der Mythen und Geheimnisse. Wer denkt angesichts einer sanften Dünung schon an Ölplattformen und Tankerunfälle, an Sturmfluten oder Chemieverklappung auf hoher See?
Das wird schon alles nicht so schlimm sein, schließlich regeneriert sich das endlose Meer doch immer irgendwie. Oder? Nach der Lektüre des gewichtigen Romans von Frank Schätzing - immerhin fast 1.000 Seiten lang - sieht die Welt anders aus.
Apokalyptische Visisonen
Science Fiction, Okö-Krimi oder Wissenschafts-Thriller: Jedes Etikett stimmt irgendwie und reicht doch allein nicht aus, um dem Roman "Der Schwarm" seinen literarischen Platz zu geben. Der liegt irgendwo zwischen wortgewaltiger Erzählkunst und kunstvoller Verknüpfung von Fakten zu einer apokalyptischen Vision vom Ende der Welt.
Dieses Ende kommt schleichend - zunächst an der peruanischen Küste, wo ein Fischer samt Boot ohne nachvollziehbaren Grund vom Meer verschlungen wird. Bei blauem Himmel und glatter See. Da kommt keine plötzliche Strömung, kein Strudel auf, aber ein merkwürdiger Schwarm Fische rottet sich zusammen – Goldmakrelen.
Mutierte Würmer
Tausende Kilometer entfernt, in Trondheim an der norwegischen Küste, bittet die Mitarbeiterin einer Erdölgesellschaft den befreundeten Meeresbiologen Sigur Johanson um Hilfe: Bei der Suche nach einem Standort für vollautomatische unterirdische Erdölförderstationen sind Würmer entdeckt worden - Millionen von ihnen wimmeln am Meeresgrund:
Diese Borstenwürmer sind mutiert - eine neue Gattung, die bislang in nordischen Gewässern nicht aufgetaucht ist. Statt nur an der Methanschicht des Meeresbodens zu knabbern, bohren sie sich hinein - um dort Bakterien einzuschleusen, die die Methanschicht auflösen und das gefährliche Gas freisetzen.
Wale greifen an
Ein weiterer Schauplatz ist Vancouver Island, Kanada. Hier betreut der Walforscher Leon Anawak, ein Inuit, der ungern an seine Vergangenheit erinnert wird, touristische Whale Watching Ausflüge. Wale sind friedliche Tiere, sie zu beobachten, macht Mensch und Tier zu Bundesgenossen im Kampf gegen den Walfang, der verboten ist. Aber die Meeressäuger bleiben in diesem Frühjahr aus. Als sie plötzlich doch auftauchen, kommt es zur Katastrophe - sie greifen an.
Wir werden gefüttert mit wissenschaftlichen Fakten über Wale und ihre Gesänge, über die Nutzung des Methangases als neue Energiequelle, über die geologischen Strukturen der Tiefsee und die mögliche Existenz von Außerirdischen, über Einzeller und ihre ungeahnte Fähigkeit, sich zu einem großen Ganzen zusammenzuschließen.
Seite um Seite steigert Schätzing die Katastrophen, lässt uns immer seltener zur Ruhe kommen, um schließlich zu einem dramatischen Showdown anzusetzen: Was mit Würmern am Meeresboden begann, baut sich im Sinne des Wortes zu einer Riesenflutwelle auf. Ein Tsunami begräbt halb Nordeuropa unter sich.
Meisterhaft erzählt
Eins kann dieser Frank Schätzing - meisterhaft erzählen. Er verknüpft eine Unmenge detaillierter wissenschaftlicher Kenntnisse über Tiefseeforschung, Meeresbiologie, Genforschung und Ölindustrie so anschaulich und nachvollziehbar mit den Charakteren der handelnden Personen, dass man die Schreckensszenarien buchstäblich mit-erlebt - und auch die absolute Hilflosigkeit der menschlichen Rasse.
Schätzings apokalyptische Visionen gehen weiter - es gibt eine Welt nach der Katastrophe. Neues, unheimliches Getier breitet sich in New York und Nordamerika aus. Eigentlich ist man als Leser längst gesättigt - aber die Spur aggressiver Wale, explodierender Hummer und methanknabbernder Würmer führt zu Killerkrabben und Qualleninvasionen und schließlich zum Golfstrom, der versiegt. Eine neue Eiszeit droht.
Und die Moral von der Geschicht
Die zweite Hälfte dieses fulminanten Romans strotzt nicht nur vor Wissen, sondern auch vor Klischees: angefangen bei der amerikanischen Supermacht, die - in Person einer karrieresüchtigen Präsidentenberaterin, die verdächtig an Condoleezza Rice erinnert - nun endlich die Menschheit retten darf.
Man fühlt sich an Politintrigen und Science-Fiction-Visionen amerikanischer Bestseller-Autoren erinnert und assoziiert eine Fülle von Bildern aus Hollywoodfilmen von Hitchcock bis James Bond. Aber angesichts der sich immer noch steigernden Spannung verzeiht man dem Autor diese Klischees. Als eine Gruppe von Eliteforschern sich mit fremden Intelligenzen befasst - "Yrr" genannt - kommt Moral ins bedrohliche Spiel.
Die Erde ist ein Geschenk
Leider sind die Menschen nicht edel, hilfreich und gut - und weil es ihnen nicht gelingt, fremde Intelligenzen zu vernichten, räumen sie sich halt selbst aus dem Weg. Die Bösen sterben und übrig bleiben zum Glück mindestens zwei gute Menschen: der Inuit und eine mutige Journalistin. Und die Moral von der Geschicht', die heißt: Die Erde ist ein Geschenk, wir dürfen sie nicht zerstören.
Christiane Schwalbe)
Frank Schätzing "Der Schwarm"
Roman, Kiepenheuer & Witsch 2004, 956 Seiten, 32. Auflage, 24,95 Euro
Fischer Taschenbuch 9,95 Euro, eBook 9,49 Euro,
Audiobook Der Hörverlag 24,95 Euro, Hörbuch Download 19,95 Euro
Weiterer Buchtipp zu Frank Schätzing
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