Georg Ringsgwandl
Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris
"Ich war nicht unerschrocken wie Pippi Langstrumpf, aber ich habe mit zehn Jahren an einem fremden Ort gelebt, ohne Freunde und Verwandte, ohne Vater oder Geld, mit einer verpeilten Mutter in einem Holzhäuschen, trotzdem die Schule geschafft und nebenbei mein Taschengeld verdient.“
Improvisiertes Leben
Mit den Songs aus der Rocky Horror Show wuchs sie auf, und weil sie als Babysitterin in der Familie des Oberarztes Dr. Ringsgwandl aushalf, durfte sie schon mit elf Jahren zu Auftritten der ersten Band der Bühnenfigur Ringsgwandl mitfahren und miterleben,
„was für ein Unterschied zwischen dem Familienvater Georg Ringsgwandl, der jeden Tag zur Arbeit geht, und der Bühnenfigur besteht. Ich wundere mich, wie zwei so verschiedene Gestalten in einen Menschen passen.“
Von einer Tourschlampe ist noch längst nicht die Rede, sondern von einem fleißigen Kind, enttäuscht über beide Eltern, das sich mit Merchandising und Plattenverkäufen nach den Auftritten der Band etwas dazuverdient. Ihre Mutter Rosa versucht, sich als Modedesignerin neu zu erfinden, doch Halt bietet sie nicht:
„Warum sieht sie bei anderen immer alles so klar und tappt selber im Dunklen/verheddert sich im Gestrüpp/stolpert über die eigenen Füße/irrt im Nebel herum und geht ständig im Kreis/tappt von einer Falle in die nächste/kommt ständig vom Weg ab?“
Freundinnen ihres Alters hat Doris keine, fühlt sich von böswilligen Mitschülerinnen aus ihrer Kindheit verjagt, nur Agnes, Außenseiterin wie sie, bleibt ihr lebenslang verbunden. Die Geschichte der bayrischen Kultband um Georg Ringsgwandl, der seinen Arztberuf irgendwann an den Nagel hängte, klingt aus der Sicht des Kindes Doris wie ein seltsames Abenteuer, aus dem sie nicht mehr auszusteigen vermag. Weil es nichts Besseres gibt. Die Musik auf den allmählichen größer werdenden Bühnen und das improvisierte Leben zwischen den Auftritten schweißt zusammen – und produziert eine ganz eigene Wirklichkeit.
Unbestechlicher Blick
Georg Ringsgwandl ist der Autor oder, wie er selbst sagt, Herausgeber dieser ungewöhnlichen Aufzeichnungen der jungen Frau, die er angeblich auf einem alten Laptop fand. Doris, die sich nach der Schule als Tour-Managerin der inzwischen erfolgreichen Band unentbehrlich machte, habe sie verfasst, bevor sie sich schließlich, 2010, mit 36 Jahren und reichlich Schwarzgeld ins Ausland absetzte. Ihr Ton hat irgendwann alles Kindlich-Staunende der ersten Jahre abgestreift, doch mit ebenso unbestechlichem Kinderblick schaut sie auf die Musiker, ihre Exzesse, den Selbstbetrug dieser Szene, die Abstürze – und sich selbst. Lakonisch, mitunter bitter, aber doch ungebrochen ist sie zugleich Teil und Kronzeugin dieses Showgeschäfts, das sich wie das einzig mögliche Leben anfühlt.
„Das ist gut am Touren. Du siehst Schicksale, die dir zeigen, wie schlimm es werden kann. Elend, Kummer und Enttäuschung im Rocknroll werden nur noch übertroffen vom Elend ohne Rocknroll.“
Das Elend des ‚Rocknroll‘ rückt ihr schließlich selbst auf den Leib, die Liebe zum heroinsüchtigen Bassisten Jay kostet ihren Preis. Wie sie sich langsam aus der Schlinge der romantischen Illusion zieht, ihm mit Geld und Nähe helfen zu können, zeichnet ein düsteres Bild der Schattenseite des Geschäfts mit der Musik, das seine Opfer einfordert.
„Doris möchte aber keine Beteuerungen mehr hören, sondern sehen, wie sich der plaudernde Lügenbeutel verdünnisiert und einem wortkargen, in barer Münze zahlenden erwachsenen Mann Platz gemacht hat. Hoffnung, eitle Hoffnung.“
Im Rausch der Musikszene
Nüchtern berichtet sie über Exzess und Irrsinn, aber ebenso über das, was diese Musikszene zu einer glanzvollen Gegenwelt macht, einem Rausch, der immer auch in Kreativität und Können verankert und deshalb so verlockend ist. Der Blick der ‚Tourschlampe‘, die sich ein hohes Maß an Realismus und Selbstironie bewahrt, ist scharf und genau, und man fragt sich, wie gut Ringsgwandl, der 26 Jahre mit ihr unterwegs war, sie wirklich kannte, denn sie spart ihn selbst nicht aus. Unterstützt hat er sie immer wieder, wenn es nötig war, und Grenzen haben sie beide respektiert, auch davon erzählt dieses ungewöhnliche Buch.
„Du warst zwanzig Jahre mit jemand unterwegs, hast seine jämmerlichen, verzweifelten Momente genauso erlebt wie die glänzenden, und kennst doch nur seine äußere Schicht.“
(Lore Kleinert)
Georg Ringsgwandl, *1948 in Bad Reichenhall, Arzt, Kardiologe (bis 1993), danach Kabarettist, Liedermacher und Autor von Theaterstücken, lebt in Bayern
Georg Ringsgwandl
„Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris“
Roman, dtv Verlagsgesellschaft 2023, 448 Seiten, 28 Euro
eBook 22,99 Euro