Kristof Magnusson
Ein Mann der Kunst
Ingeborg Marx ist Psychologin, kunstbegeistert und Vorsitzende des Fördervereins ihres Lieblingsmuseums in Frankfurt. Ein geplanter Neubau soll dem Werk eines einzigen Künstlers gewidmet sein: KD Pratz.
In der Burg verschanzt
Großer Plan für einen kleinen Förderverein mit finanzkräftigen Mitgliedern und große Ehre für den ehemaligen Meisterschüler der Düssledorfer Kunstakademie, der es zum Weltstar gebracht hat und
“in den Top Ten aller Listen der teuersten und bedeutendsten Künstlerinnen und Künstler unserer Zeit stand.”
Er lebt zurückgezogen auf einer Burg am Rhein, hoch über dem Fluss, weit weg vom kommerziellen Kunstbetrieb, dem er zwar seinen Ruhm verdankt, den er aber abgrundtief hasst. Die begeisterten Mitglieder des Kunstvereins planen einen Besuch bei KD Pratz, von ihm besitzt das Museum Wendevogel eine umfangreiche Sammlung.
“Inzwischen Ende sechzig, war er einer der letzten verbliebenen Old-School-Künstler, der sich von Anfang an jeglicher Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb verweigert hatte und allgemein als sperrig galt und zu keiner Gefälligkeit bereit, kurz: Er war offenbar ein ziemliches Ekel.”
Aufgekratzte Vorfreude
Umso ernsthafter sind die Kunstliebhaber, die zur “Bildungsbürgerbespaßung” regelmäßig von Kunsttempel zu Kunsttempel reisen – nach Stockholm, Bilbao, ins Veneto oder nach Amsterdam. Selbst wenn nicht alle Mitglieder des Kunstvereins den Arbeiten von KD Pratz unter dem Motto “Das Bild spricht nicht zu mir” etwas abgewinnen können,
“... herrschte eine gediegen aufgekratzte Vorfreude. Alle lasen etwas Kluges oder unterhielten sich leise, aßen gesunde Trockenobst-Snacks, klappten Schaubilder aus Kunstreiseführern aus.”
Constantin, der ebenfalls kunstinteressierte Sohn der Vorsitzenden, eigentlich Architekt und im Baubetrieb beschäftigt, reist mit und wird erst zum stillen, dann zum aktiven Beobachter einer überaus skurillen und nachhaltigen Begegnung. Der Malerfürst hat sich zwar bereit erklärt, die kleine Gruppe samt kunstbeflissenem Museumsdirektor zu empfangen, aber zu Bedingungen, von denen niemand etwas ahnt. Und die haben es in sich. KD Pratz schockiert die Kunstfreunde mit dem Satz:
”Ich bin kein Künstler. Ich habe mich immer als Handwerker begriffen. Weil die Kunst am Ende ist. Die Kunst ist genauso kaputt wie die Gesellschaft. Genauso am Ende wie die EU und die Demokratie.”
Schwarzbrot im Original
Natürlich bleibt es nicht bei solchen plakativen Sätzen, KD Pratz führt die Gruppe in sein persönliches Handwerkerparadies, eine traditionsverbundene Bäckerei, die Brot noch nach Rezepten von 1827 backt. Der anfänglichen Verblüffung folgt Staunen und Verkostung eines frisch gebackenen Schwarzbrots.
“Wollte er sich an uns rächen, indem er uns ... etwas über die Wingertzknorze und Roggenschrot erzählte, während wir ... etwas über Altarschnitzereien des Mittelalters lernen wollten?”
Gute Netzwerke
Magnusson ist nicht nur ein genauer Beobachter, er hat auch ein feines Gespür für Menschen und ihre Maskeraden, für verletzte Eitelkeiten und gesellschaftliche Rollenspiele, für all die Zwischentöne in einer bildungsbürgerlichen Kommunikation, in der es weniger um Ehrlichkeit und Wahrheit als um schönen Schein und Selbstdarstellung geht. Er führt uns Szenen paradoxer Kunstbeflissenheit vor, in denen sich sowohl der Künstler als auch sein Publikum als Mitglieder eines gemeinsamen Marktes entlarven, auf dem es um Geld und gute Netzwerke geht. Natürlich auch um Können und um die Fähigkeit, sich selbst nicht ganz ernst zu nehmen. Dass Künstler, die auf dem Podest stehen, sich vor zuviel Öffentlichkeit lieber einsam hinter hohen Mauern verschanzen, ist ein anderer Aspekt in diesem unterhaltsamen Roman, der treffsicher und sehr bewusst so ziemlich alle Klischees des herkömmlichen Kunstbetriebs bedient:
“Schauen Sie nicht wie immer. Schauen Sie überhaupt nicht, nicht wie sonst im Museum, nachdenklich mit der Hand am Kinn und dann die Beschreibung lesen. Sehen sie!”
(Christiane Schwalbe)
Kristof Magnusson, *1976 in Hamburg, Kirchenmusiker, Übersetzer, Autor von Romanen und Theaterstücken, lebt in Berlin
Kristof Magnusson "Ein Mann der Kunst"
Roman, Verlag Antje Kunstmann 2020, 240 Seiten, 22 Euro
eBook 16,99 Euro, Audio-CD 20 Euro