Lola Randl
Die Krone der Schöpfung
Schon in "Der große Garten" hat uns Lola Randl ebenso heitere wie tiefe Einblicke in ein Dorf in der Uckermark gewährt, in dem sie mit Ehemann, Kindern und Liebhaber zwar ein geruhsames, aber durchaus kein ereignisloses Leben führt.
Irgendwie infiziert
Das Corona Virus macht vor diesem Dorf nicht halt. Es infiziert sogar die Autorin. Ob wirklich (und mit schwachen Symptomen) oder nur mental, bleibt offen. Geistig-seelisch ist sie in jedem Fall infiziert, sonst gäbe es dieses Buch gar nicht.
"Wenn Sie das hier lesen, wird das Gröbste schon vorbei sein. Vielleicht wird es aber auch erst noch kommen. In Wirklichkeit haben wir überhaupt keine Ahnung, was das Gröbste gewesen sein wird, und möglicherweise werden wir es auch nie wissen."
Inzwischen wissen wir eine ganze Menge auch über dieses Virus, das - ähnlich anderen Viren – einen fremden Organismus braucht, um sich zu verwirklichen:
"Ohne Wirt ist das Virus nichts ... die Virologen haben sich darauf geeinigt, dass es sich bei Viren nicht um eigenständige Lebewesen handelt."
Das Chaos ordnen
Mehl und Zucker, Hefe und Klopapier werden auch im Dorfsupermarkt knapp, und die nicht unbedingt beliebten Städter kommen, um sich vielleicht für eine Weile auf's Land zurückzuziehen, wo das Leben ohnehin ruhiger und gesünder sein soll. Aber sie werden misstrauisch beäugt, könnten schließlich das Virus einschleppen. Selbst auf dem Land stellt sich natürlich die Frage nach Schuld, Ansteckungsgefahr, Patient Null, Verhalten bei Symptomen, Schicksal und Partys, die schwer zu stoppen sind. Passenderweise arbeitet Lola Randl, die auch erfolgreiche Filmemacherin ist, gerade an einem Drehbuch für eine Zombiserie, eine "Unterkategorie des Horrorfilms", in dem vor allem Untote ihr Unwesen treiben - “das Virus ist der kleinste Zombie, der kleinste Untote”. Leider kann man ihn nicht einfach mit Flammenwerfern verschmoren – wie im Film. Man braucht eine Impfung, aber das dauert und niemand weiß wirklich, wie lange noch: "Frühestens im Winter sollte der Impfstoff spätestens gefunden sein."
Blick nach Amerika
Lexikalisch erklärend, philosophisch reflektierend, kindlich-naiv fragend oder aus ironischer Distanz beobachtend nähert sich Lola Randl, die sich erklärtermaßen für Kleinstlebewesen und Parasiten interessiert, in kurzen Essays dem Chaos rund um das Virus, sortiert und ordnet es nach wichtigen Begriffen oder Erkenntnissen, die das alltägliche Leben entscheidend zu verändern beginnen: Verheerungspotenzial, Systemrelevanz, Helden, Trost, Tod, Therapie, Homeschool, Impfstoff, Gefahr, Sondersendung, Beatmungsgeräte, Präsident und – Desinfektion. Dieser Begriff zwingt sie geradezu zum fiktiven Blick nach Amerika:
"Der Präsident liegt auf dem Bett und twittert. In der einen Hand hält er eine Cola Light, in der anderen das Smartphone. ... Er hatte gerade nochmal was zum 'damned Chine virus' gepostet, weil es ihn so verdammt wütend machte, wenn einer dieses verfluchte CoVid-Wort benutzte. ... Er hatte eigentlich schon die Schnauze voll gehabt, aber dann war er doch vor die Kameras getreten und hat gesagt, dass er sie alle retten würde ... in zwei bis drei Wochen ist der Spuk vorbei."
Zwischen Fakten und Fiktion
Nun könnte man meinen, Lola Randl macht sich nur lustig über eine bedrohliche Pandemie und ihre sozialen und weltpolitischen Folgen. Tut sie nicht. Mit ihrer lakonischen, knappen und scheinbar erstaunten Art, die Dinge genauer unter die Lupe zu nehmen, zu recherchieren, um sie in größere Zusammenhänge - wissenschaftlich oder tagesaktuell - einzubetten, bringt sie Probleme auf den Punkt – von social distancing bis social bashing, von plötzlichen Helden, die Barcodes an der Kasse scannen, zu einem Präsidenten, dem Zahlen und Infektionen in die Quere kommen, bis zu den Versäumnissen der Weltgesundheitsorganisation. Und zwischen Nachforschungen über den Saugwurm, der über die Ameise ins Schaf wandert, Corona-App, einen hübschen Virologen und boomenden Versandhandel toben sich die Zombies ihrer Fernsehserie "Honka, Bar des Vergessens" aus. Eine originelle und sehr unterhaltsame Mischung aus Fakten und Fiktion, hinter der die ernsthafte Frage steht, wer am Ende überlegen ist: Mensch oder Natur.
“Die Erzählerin kann sich an keinen Moment erinnern, an dem die Welt sich in einem ähnlich ungewissen Zustand befunden hätte ... Die Demontage der Gewissheiten wird der Nährboden der Utopien gewesen sein. War ihr das jetzt wirklich so eingefallen, oder hatte sie das irgendwo gelesen ...”
(Christiane Schwalbe)
Lola Randl, *1980 in München, Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln, Drehbuchautorin und Regisseurin für Kino und Fernsehen, lebt in dem kleinen Ort Gerswalde in der brandenburgischen Uckermark
Lola Randl "Die Krone der Schöpfung"
Roman, Matthes & Seitz 2020, 220 Seiten, 18 Euro
eBook 12,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Lola Randl
"Der große Garten" (Longlist Deutscher Buchpreis 2019)