Lola Randl
Der Große Garten
Longlist Deutscher Buchpreis 2019
Gerswalde ist ein Dorf in der Uckermark. Wie man dort lebt, hat Lola Randl, Drehbuchautorin und Regisseurin, im Film "Von Bienen und Blumen" erzählt, besser: Wie das "postkapitalistische Individuum" sich das Leben auf dem Land vorstellt – nachhaltig, ökologisch, naturverbunden und ein bisschen verrückt.
Lust auf Blumen und Gemüse
Gerswalde ist zum Sehnsuchtsort von Großstädtern geworden und wird inzwischen als "berühmte Utopistensiedlung" apostrophiert. Touristen kommen, um in Augenschein zu nehmen, was so besonders ist an diesem Dorf. Seit zehn Jahren lebt Lola Randl hier, auch sie mal getrieben von Sinnsuche, Großstadtmüdigkeit und der Lust auf Blumen und selbst angebautes Gemüse. Sie will eine Gartenenzyklopädie schreiben, hat jahrelang recherchiert, und sitzt nun bei Irmi und Hermann in der Stube, um Keime zu fotografieren.
"Ich liege wach im Bett und überlege, warum ich Pflanzenkeime fotografiere und glaube, eine Gartenenzyklopädie anlegen zu müssen. Wahrscheinlich ist es doch nur die Angst vor dem Tod, wie der Analytiker sagt. ...Der Mann schläft schon. Da er schon so viele Leben hinter sich hat, ist das mit dem Tod keine große Sache mehr für ihn. Der Liebhaber hat auch keine Angst vor dem Tod, warum weiß ich nicht. Vermutlich weil er der Sohn eines Schlachters ist und weiß, dass es schnell geht und eben einfach so ist …"
Kirschblüten in Agavensirup
Womit wir gleich fünf weitere Protagonisten kennengelernt haben, die wichtig sind in Lolas Dorfleben. Sie ist verheiratet mit "dem Mann" und hat zwei Söhne, der Liebhaber wohnt im Haus in der Kurve unter einem halbfertigen Dach, der Analytiker, der ihr gern sexuell eindeutige Fotos schickt, wohnt in der Stadt, Irmi und Hermann sind Nachbarn, die Gemüse und Blumen aus ihrem Garten verkaufen und notfalls auch mal Nachschub aus Polen holen. Außerdem gibt es noch die Therapeutin in der Stadt und Lolas Mutter, die gar nichts vom Buchprojekt hält, weil Lola zwar exotische Pflanzen bestellt, aber keine Ahnung von Gartenarbeit hat. Ihre Mutter dafür umso mehr:
"Im Garten geht es immer um das Wechselspiel von Kontrolle und Freiheit. Und meine Mutter ist der Gott. Eine ahnungslose Tochter ist dabei ein störender Faktor. Wobei, denkt sich meine Mutter, vielleicht sind die Feldsteinmauern tatsächlich ein hervorragender Standort für Kiwis. Auf Kiwis wäre sie von alleine nie gekommen. Manchmal muss ein Gott auch etwas zulassen, bevor er dann die Kontrolle wieder an sich reißt."
Feste Größen in der Dorfgemeinschaft von Gerswalde sind die Nachbarin vom Liebhaber, die gern auf die Kinder aufpasst, die Apothekerin, diverse Stadtflüchtlinge mit immer neuen Ideen im Kopf und zwei Japanerinnen, die in Gerswalde sesshaft geworden sind. In Randls Haus eröffnen sie erst ein Café und dann einen Laden, verkaufen Matcha-Cheesecake und gesalzene Kirschblüten in Agavensirup. Und natürlich lebt hier auch jede Menge Gartengetier - vom Maulwurf bis zum Regenwurm.
Emily und Oswald
Das ist kein typischer Roman, Lola Randls Geschichten lesen sich eher wie spontane, mehr oder weniger ausführliche Notizen, die ein stimmiges Gesamtbild ergeben, und sind sortiert - von A wie Agapanthus, Apfeltag und Arbeit über F wie Feldmaus, Frösche, Fruchtfolge bis S wie Saatgutbörse, Spaziergangswissenschaft, Spontanvegetation und Z wie Zelt, Zucchini und Zweitreichster. Launig, ironisch und oft urkomisch animieren sie zum Schmunzeln genauso wie zu herzhaftem Lachen und - sie sind lehrreich. Samen in Tütchen und Kompostklo, Tauschwirtschaft und Broiler, Schneckenkorn, Umpfropfen und Schnapspralinen, Selbstverwirklichung und Endorphine, Kraniche und Weltuntergang. Hinter diesen Stichworten verbergen sich nicht nur umfangreiche Gartenkenntnisse, sondern auch subtile Beobachtungen eines Mikrokosmos, in dem das Leben nach klaren Regeln und den Jahreszeiten funktioniert.
Nebenbei lernen wir Emily und Oswald kennen und damit die Dorfgeschichte, die mit einer adligen Familie, einer reichen Frau aus Amerika und einem Familienschloss begann, und natürlich all' die großstadtmüden Neubürger, die sich auf dem Land selbst verwirklichen wollen:
"Der Kommunikationswissenschaftler ist ganz leicht und inspiriert von seiner Ultraleichtwanderung zurückgekehrt. Nur ein Sträußchen getrockneten Bergsalbei von 83 Gramm hat er mitgebracht, aus dem er sich und seinen Gästen jetzt immer einen Bergsalbei-Tee machen kann. Der Kommunikationsdesigner möchte einen Workshop zum Thema Workshop anbieten. Ziel des Workshops ist es herauszufinden, welchen Workshop man anbieten könnte."
Ein herrlich unterhaltsames Buch, gespickt mit klugen Erkenntnissen, verbüffenden Einsichten und fein beobachteten sozialen Zusammenhängen. "Der Große Garten" ist ein großes Lesevergnügen.
(Christiane Schwalbe)
Lola Randl, *1980 in München, Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln, Drehbuchautorin und Regisseurin für Kino und Fernsehen, lebt in dem kleinen Ort Gerswalde in der brandenburgischen Uckermark
Lola Randl "Der Große Garten"
Roman, Matthes & Seitz 2019, 320 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Lola Randl
"Die Krone der Schöpfung"