Monika Maron
Zwischenspiel
Ruth ist sechzig, Kunsthistorikern, alleinstehend, Mutter einer erwachsenen Tochter, und bereitet sich auf die Beerdigung ihrer Freundin und Olga vor, die mit 90 Jahren gestorben ist. Im Selbstgespräch macht sie sich nochmal klar, wie sehr sie sich fürchtet, auf den Friedhof zu fahren. Werden ihr dort doch Menschen begegnen, die sie erfolgreich aus ihren Erinnerungen verbannt hat.
Erinnerungen
"Seit einer Woche, seit ich wusste, dass ich Bernhard an Olgas Grab treffen würde, rumorte es in den Verliesen meiner verbannten Erinnerungen."
Bernhard ist nicht nur der Vater ihrer Tochter, den sie Knall auf Fall verließ, sondern auch Sohn von Olga, der Großmutter ihrer Tochter also.
Unbehagen
Der Tag der Beerdigung beginnt schon mit einem "dumpfen Unbehagen" – nach einem Traum, der nicht mehr rekonstruierbar ist - und geht weiter mit unerwünschten Gedankensplittern, der Furcht vor bevorstehenden Begegnungen und einem "unbekannten Defekt meiner Augen", der schlimmer wird, als sie einem weißen Wölkchen am Himmel nachblickt: "Der helle Himmel blendete mich, das Bild zersprang in flimmernde Punkte, ein Himmelsbild, wie von Monet gemalt."
Lebende und Tote
Mit dieser merkwürdig verpixelten, nahezu impressionistischen Weltsicht macht sich Ruth, Museumsangestellte, mit Auto und Navi auf den Weg, verirrt sich, verpasst das Begräbnis und landet schließlich in einem Park, in dem der Tag einen irrationalen und wahrhaft fantastischen Verlauf nimmt und wie aus dem Nebel Menschen auftauchen – Lebende und Tote.
Gut und Böse
Olga erscheint ihr leibhaftig und mehrfach, auch ein Saufkumpan des Mannes, mit dem sie die DDR verließ. Im Westen wurde er ein bekannter Schriftsteller, weil er die schriftstellerischen Ideen dieses Freundes zu Papier brachte, der selbst keine Lust dazu hatte. Ein zutraulicher Hund läuft ihr zu, den sie mit Würstchen an ihrer Seite zu halten weiß, Erich und Margret Honecker kreuzen keifend ihren Weg, und schließlich trifft sie auf einen Mann mit dem Gesicht eines Porträts, gemalt von einem Unbekannten vor 500 Jahren. Er ist "der Böse".
Liebe und Verlust
Monika Maron führt uns in ihren Begegnungen mit den Geistern ihrer Vergangenheit zu den existentiellen Fragen des Lebens: Recht und Gerechtigkeit, Schuld und Vergebung, Sühne und Strafe, Liebe und Verlust, Abschied und Alter. Die Geschichten sind autobiografisch gefärbt: Monika Maron lebte in der DDR und verließ sie Ende der 80iger Jahre, ihr Stiefvater war Innenminister der DDR. Aber sie bleibt nicht im Persönlichen, sondern lenkt den Blick immer wieder kritisch auf die jüngere deutsche Vergangenheit, auf Spitzel und Stasi und den Staat, in dem Arbeiter und Bauern Willkür statt versprochener paradiesischer Zustände fanden.
Verdrängte Realitäten
Dieses fast mystische, ver-rückte Zwischenspiel eines einzigen Tages, das aus den Tiefen des Bewusstseins vergangene und verdrängte Realitäten in die Gegenwart zerrt, pendelt zwischen Witz und Tragik, Sentimentalität, sanftem Spott und leiser Weisheit. Ein kluger Roman, der die vielfältigen Facetten aufblitzen lässt, aus denen das menschliche Ich sich über die Jahrzehnte zusammensetzt: "Das Problem ist, dass man nicht als der Mensch die Welt verlässt, als der man auf die Welt gekommen ist."
(Christiane Schwalbe)
Monika Maron *1941 Berlin, lebte 1951 bis 1988 in der DDR, Stiefvater Karl Maron wurde DDR-Innenminister, Theaterwissenschaftlerin und Schriftstellerin, wohnt in Berlin
Monika Maron "Zwischenspiel"
Roman, S. Fischer 2013, 192 Seiten, 18,99 Euro
eBook 16,99 Euro, AudioCD 18,95 Euro, Hörbuch-Download 13,92 Euro