Maxim Biller
Im Kopf von Bruno Schulz
Die reiche, bilderreiche Sprache, mit der Bruno Schulz in allen dunklen Farben die damals triste Kreisstadt Drohobicz beschrieb, in der er eine ungeliebte Stelle als Kunstlehrer versah, wird einem nicht mehr aus dem Kopf gehen: "Unsere Stadt fiel schon damals immer mehr dem chronischen Grau der Dämmerung anheim, an ihren Rändern wuchsen Schattenflechten, flaumiger Schimmel und eisenfarbenes Moos."
Imaginationen
Sätze, die in die Weltliteratur eingegangen sind – und Maxim Biller knüpft daran an: Wer Bruno Schulz gelesen hat, erkennt die vielen Anspielungen und Motive wieder, die aus seinem Werk selbst gewonnen sind. Biller versetzt sich in den Dichter und auch begabten Zeichner Bruno Schulz und imaginiert den Brief, den Schulz damals verzweifelt an Thomas Mann schrieb – dieser Brief und auch Manns Antwort sind nicht erhalten, ebenso wie das einzige Buch auf deutsch, das Schulz dem Nobelpreisträger schickte.
Verkannte Begabung
Bruno Schulz, geboren 1892 im damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Drohobycz in Galizien, stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie und wuchs polnischsprachig auf. Die Erzählungen der Bände "Die Zimtläden" und "Das Sanatorium zur Todesanzeige" machten ihn bis heute berühmt, was ihm zu Lebzeiten kaum nützte – seine Geschichten wurden nicht übersetzt, obwohl sich viele Schriftstellerkollegen dafür einsetzten, zum Beispiel Joseph Roth. 1938 versuchte er sein Glück noch in Paris, vergeblich.
Ahnungen
Als Drohobycz 1941 besetzt wurde, arbeitete er als Zeichenlehrer und stand im privaten "Dienst" eines SS-Mannes, der ihn die Zimmer seiner Kinder ausmalen ließ. 1942 wurde er auf offener Straße erschossen, von einem Gestapo-Konkurrenten dieses Mannes.
Biller zeigt einen Bruno Schulz voller Angst und er lässt ihn die Katastrophe, die über die Juden kam, feinfühlig vorausahnen. Mit dem Wissen des Nachgeborenen nähert er sich an, und er erfasst die Katastrophe mit großem Feingefühl: Die Angst etwa setzt sich, wie Biller schreibt, "in seinem Bauch fest - ja, dort saß sie am liebsten, ein großer, warmer, grauer Klumpen, der sich unaufhörlich rasselnd drehte."
Ohne Chance
Mit seiner Fiktion fühlt sich Biller in die Geschichte eines Mannes ein, dem es nicht gelang, sich aus seinem Leben als Lehrer in der Kleinstadt zu befreien, den sexuelle Obsessionen plagten, der wusste, dass er ein großer Schriftsteller war, aber keine Chance hatte. Biller konfrontiert sich und uns als Leser mit diesem bedrückenden Leben, mit verpassten Chancen, vor allem der, der Vernichtung der Juden rechtzeitig entgegenzutreten.
Liebeserklärung
Der letzte Satz dieser kleinen Novelle lautet: "Er atmete schwer, seine Knie waren wund und blutig, und die Tauben im Himmel über Drohobycz flogen eine nach der anderen in den roten Feuerschein hinein, wo sie wie Zunder verbrannten."
Man kann das Buch als große Totenklage lesen oder auch als eine gewaltige Liebeserklärung an diesen so wichtigen, fast vergessenen Schriftsteller.
Maxim Biller "Im Kopf von Bruno Schulz"
Novelle
Kiepenheuer und Witsch 2013, 80 Seiten, 16,99 Euro
eBook 14,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Maxim Biller
"Sechs Koffer"