Rudolf Lorenzen
Alles andere als ein Held
Echo aus den 50ern - eine Wiederentdeckung
Vor einem Jahr, am 27. November 2013, ist er gestorben, jener vielfach Vergessene, über dessen wohl wichtigstes Buch Sebastian Haffner einst euphorisch schrieb: "Ich bin gar nicht sicher, ob 'Alles andere als ein Held' nicht der beste Roman irgendeines heute … deutsch schreibenden Autors ist."
Ein vergessener Autor
Was bis heute nichts daran ändert, dass der Name Rudolf Lorenzen für gewöhnlich selbst bei literarisch Kundigen allenfalls Schulterzucken auslöst. Er gehört zu den Vergessenen der deutschen Nachkriegsliteratur. Wie anders fallen die Reaktionen aus bei den Namen Johnson, Böll oder Grass. Just diese drei und der Muff der Adenauer-Zeit haben Lorenzens Erfolg verhindert, denn zeitgleich mit "Alles andere als ein Held" erschienen 1959 "Mutmaßungen über Jakob", "Billard um halb zehn", "Die Blechtrommel", und sie eroberten den Buchmarkt für sich.
Präzise Beschreibungen
Da hilft auch Haffners nachgereichtes Votum nichts, dass für ihn Nazizeit und Wirtschaftswunderjahre der Bundesrepublik bei Lorenzen "genauer, vertrauenswürdiger und einleuchtender" geschildert sind als in der "Blechtrommel". So genau eben will man es doch gar nicht hören, 14 Jahre nach dem Krieg.
Entsprechend emotional eingestimmt befindet denn auch ein Kommentator einer Bremer Tageszeitung - dort spielt ein erheblicher Teil des Romans - recht aufgekratzt: "Es ekelt mich an, dass der Name unserer Stadt für diese miserable, literarisch undiskutierbare Lebensschilderung eines jungen Deutschen unserer Zeit bemüht wird."
Als Lorenzen dann auch noch eine Einladung der Gruppe 47 ausschlägt, kann er mit der Solidarität der Kollegen nicht mehr rechnen.
Spielverderber im Wirtschaftswunder
Das richtige Buch zum falschen, weil unerwünschten Zeitpunkt, das ist womöglich die Lebensleistung des Autors Rudolf Lorenzen. Wer will diese Geschichte eines ewigen Mitläufers, dieses Psychogramm einer gewöhnlichen Existenz vor, im und nach dem Krieg, geschrieben in den kunstvollen Grautönen detailverliebter, lapidarer Sätze, in einer "hinterhältig harmlosen Sprache" (SZ) im von Brathähnchenduft geschwängerten und von Hochglanz-Autokatalogen geprägten Aufschwung des Jahres 1959 schon lesen?
Lorenzen und sein (teil)autobiographischer Nicht-Held Mohwinkel durchlaufen und erleiden Lehre, dutzendjähriges Reich, Krieg, Gefangenschaft und bundesdeutschen Aufstieg aus der Asche von Millionen Menschen und bleiben in der öffentlichen Wahrnehmung nichts anderes als Spielverderber.
Glamourpaar in der Halb-Stadt
Der reale Lorenzen hingegen war Spiel und Spaß keineswegs abgeneigt, bildete in den 1950er/1960er Westberliner Jahren mit Annemarie Weber sogar eine Art Glamourpaar des Journalismus mit Erfolgen im Radio und im TV, lustvoll demonstriert durch Happenings und schrille Auftritte in der Bohème einer ummauerten Halb-Stadt, höhenberauscht beispielsweise bei der "Erstbesteigung des Schönebergs" in Begleitung der Maler Johannes Grützke und Matthias Köppel.
Hinterlassen hat er uns in einem seiner letzten Interviews die möglicherweise nachdenklich machende Einsicht: "Die Menschen machen sich alle was vor - das ist mein Thema".
(Norbert Lorenz)
Rudolf Lorenzen, *1922 in Lübeck, aufgewachsen in Bremen, Grafiker und Schriftsteller, lebte bis zu seinem Tod am 27.11.2023 in Berlin
Rudolf Lorenzen "Alles andere als ein Held"
Verbrecher Verlag 2013, 688 Seiten, 28 Euro
eBook 18,99 Euro