Ursula Ackrill
Zeiden, im Januar
In anderen Sprachen kamen ihre "Traumlandschaften nicht so richtig zusammen", sagt Ursula Ackrill im Gespräch, und so beschwört die in Rumänien geborene Autorin in ihrem ersten Roman die Traumlandschaften Siebenbürgens und die politischen Träume und Albträume im Winter 1941 auf deutsch.
Ein einziger Tag
Wie konnte die Verführungskraft der Nationalsozialisten unter den Siebenbürger Sachsen Raum gewinnen, bis sie sich als Außenposten des Reichs begriffen und mit ihm untergingen? Ursula Ackrill stellt ihre kritische und selbstständige Protagonistin, die Historikerin Leontine Philippi, geboren 1888 und mit dreißig Jahren nach Zeiden ins Haus ihres fernen Freundes, eines Flugpioniers gezogen, ins Zentrum ihres Romans; mit ihr erleben die Leser zeitlupenhaft minutiös diesen einen, einzigen Tag, den 21. Januar 1941, an dem die Juden in Bukarest einem Pogrom zum Opfer fallen und Leontine aus ihrer Heimat flüchtet, weil ihre Stimme nicht mehr erwünscht ist.
Rückblenden in die Geschichte
Facetten ihres langen Lebens und anderer Siebenbürger spiegeln sich – dazwischen montiert - in den Gedankenströmen, die zurückgreifen in die Geschichte der deutschen Minderheit, die erst zu Österreich-Ungarn gehörte und schließlich an Rumänien fiel –
"eine fremde, eingeschlichene Nation, wie ein Reisender über die Sachsen aus ungarischer Sicht bemerkte. Unberufene Gäste, die nicht mehr willkommen waren. Erst recht nicht, als sie sich hartnäckig weigerten, die hehre ungarische Kultur ihrer deutschen vorzuziehen."
Und als Deutsche in überlegener Rolle hofften sie, mit Hilfe der deutschen Wehrmacht auch der gefürchteten Rumänisierung zu entgehen.
Mit unbestechlichem Blick
Die Ausplünderung der Juden hatte längst begonnen, und wie wenig die Sachsen die Zeichen an der Wand erkannten, wird in Leontine Philippis erschrockenem und unbestechlichem Blick gespiegelt, wiewohl die Autorin sie nicht klüger macht als es die Zeitumstände zuließen. Lehrer und Ärzte haben ihre Arbeit bereits verloren, der Handel wurde den Juden verboten und im Lager des jüdischen Händlers Brick häufen sich die Dinge aus Geschäfts- und Haushaltsauflösungen, die für die Regierung zu Geld gemacht werden sollen – und Leontines junge Freundin Maria, die die Bestände kundig begutachtet, wird seinen ermordeten Sohn am Vorabend des 21. Januar in den Armen halten.
Macht des zweiten Gebots
An Leontines letztem Abend in Zeiden verlockt der NS-Volksgruppenführer Andreas Schmidt die Zeidener damit, dass er sich in allen Schlüsselpositionen Sachsen und Schwaben vorstelle, und nicht nur die Lehrerin Herzi Kraus ist in Leontines Augen
"informiert, wie alle Sachsen im Raum. Sie kennt die Nürnberger Gesetze, weiß vom Ausgang der Kristallnacht, vom Feldzug durch Polen. Sie setzt auf die Macht des zweiten Gebots. Das zweite Gebot der Sachsen ist 'Schweig'."
"Schäm dich" – so lautet das erste Gebot, Scham über das, was die Minderheit bisher nicht erreicht hat, denn man wollte modern und erfolgreich sein, den sprichwörtlichen Fleiß honoriert bekommen, endlich und um jeden Preis.
"Als hätte jemand eine schärfere Lupe in seinen Ausblick eingelegt, brachte die im Vergleich zu Kronstadt kleinere Gemeinde die neue Zeit zum Vorschein. Die Sachsen dort bauten sich Betriebe auf, scherten sich wenig ums Mittelalter, wollten Tennis spielen, Ski laufen, tanzten zu Radiomusik und hörten Nachrichten von deutschen Sendern.
Historisch verbürgt
Etliche der Protagonisten sind historisch verbürgte Personen, wie etwa Andreas Schmidt, wie Capesius, der später zum Apotheker von Auschwitz wurde, und Fritz Klein, der als Waffen-SS-Arzt in mehreren KZs an allen Verbrechen, auch an Selektionen beteiligt war. Sorgfältig hat die Autorin recherchiert, in Heimatbüchern zwischen den Zeilen gelesen und in alten Reiseberichten Wörter aufgespürt, die die besondere Gemütslage der Siebenbürger Sachsen lebendig werden lassen. Um diese besondere Welt zu bewahren und in die neue Zeit hinüber zu retten, so reflektiert es die Historikern Leontine Philippi, ist man "zu jedem Kompromiss bereit, keiner Schandtat verlegen".
Zum Untergang verurteilt
Diese Biegsamkeit des Gewissens bringt Ursula Ackrill in den vielen kleinen und größeren Abschnitten ihres Romans zur Sprache, verwirrend mitunter, denn die vielen Zeit- und Gedankensprünge entsprechen zwar dem treffenden Bild eines zersprungenen Spiegels, doch das wird literarisch nicht immer plausibel übersetzt und erfordert Anstrengung. Die sich jedoch lohnt, denn die Autorin zeigt im Scheitern ihrer ungewöhnlichen und klugen Heldin, wie sich die Siebenbürger Sachsen selbst zum Untergang ihrer separaten und sorgsam gehüteten Kultur verurteilt haben.
(Lore Kleinert)
Ursula Ackrill *1974 in Kronstadt, Siebenbürgen, Bibliothekarin in Nottingham/GB
Ursula Ackrill "Zeiden, im Januar"
Wagenbach 2015, 256 Seiten, 19,90 Euro
eBook 17,99