Denton Welch
Freuden der Jugend
Eine wunderbare Wiederentdeckung: Der britische Autor Denton Welch hatte nur wenige Jahre Zeit zu schreiben, nachdem er mit 20 durch einen Unfall verkrüppelt wurde und 1948 mit 33 Jahren starb.
Verhasstes Internat
Dieser Roman, einer von dreien, die er schrieb, erzählt von den Sommerferien, die der fünfzehnjährige Orvil Pym mit seinem Vater und den beiden älteren Brüdern in einem Hotel an der Themse verbringt, fern vom verhassten Internat und dem Schicksal aller Kinder, deren Eltern dem Empire in den Kolonien dienten.
"Er dachte an die eisernen Bettgestelle, die ihn immer an schwarz emaillierte Skelette erinnerten; die fleischroten Pferdedecken im Sanatorium; die Lehrer in ihren altmodischen Gewändern, mit einem weißen Schuppenbelag auf den Schultern; die hohen Fenster der Aula mit ihren kitschigen Glasmalereien. Alles erschien ihm dämonisch und unwirklich, wie Pappkulissen eines Schauerstücks."
Zwischen den Kriegen
Denton Welch lässt uns die englische Welt zwischen den Kriegen wie durch ein Brennglas durch Orvil, einen kleinen, sensiblen Jungen mit ausufernder Phantasie erleben - die steife Formalität des Familienlebens, unterbrochen nur durch Grobheiten und Unverständnis, die exzentrisch-konventionellen englischen Umgangsformen, die Faszination durch fremdartige Gegenstände oder Bilder, in die er sich obsessiv hineinwünscht, um ein anderer zu werden. Trauer um die vor drei Jahren verstorbene Mutter ist nicht vorgesehen, doch das Hotel, früher ein königliches Jagdschloss mit reizvoller Parklandschaft bietet viel Raum für Ausschweifungen und Begegnungen.
Aus der Sicht des Jungen ist ohnehin nicht auf Besserung zu hoffen -
"er würde immer in Hotels oder bei Verwandten leben müssen, oder in einer Schule, eingesperrt wie ein Verbrecher im Gefängnis. Es war ein entwürdigendes Leben, und es erfüllte ihn mit Grauen und Abscheu."
Unschuldige Beobachtung
Zugleich aber findet Welch für seine innere Welt, für alles, was Orvil beobachtet und sich in der beschränkten Perspektive der Pubertät zu eigen macht, eine so reiche und bildhafte Sprache, dass uns als Lesern das Freiheitsversprechen, das sich durch Kunsterleben und innere Unabhängigkeit einlösen ließe, sinnlich begreiflich wird. Immerhin ist Welsh selbst mit sechzehn Jahren aus der verhassten Schule nach China geflüchtet und studierte später Kunst.
Der Junge Orvil hat durchaus ein Gespür für verborgene Erotik, doch niemals verlässt Welsh seinen Kosmos aufmerksamer, von Wünschen aufgeladener und im Kern unschuldiger Beobachtung. Auch dann nicht, als es dem Jungen endlich gelingt, einen kurzen Kontakt zu einem geheimnisvollen Lehrer herzustellen, den er von ferne bewunderte und der ihn tröstet, obwohl er es ihm mit kaum verständlichen Spielchen schwer macht:
"Er war froh, daß er den Namen des Mannes nie erfahren würde und daß dieser auch seinen Namen nicht kannte. Er fand, daß es so am besten war – man kannte den anderen nicht, und alles blieb im Dunkeln. Der Mann war wie eine Statue aus Bimsstein, die einen Teil seines Elends in sich aufgesogen hatte. Ein Teil des Grauens, das ihn peinigte, war ausgeflossen und durch die Wunde in den Mann eingesickert."
Sprachkunstwerk
Schön, dass der Wagenbach sich dieses Sprachkunstwerks, das eine ganze ferne Welt zum Leuchten bringt und von Carl Weissner kongenial übersetzt wurde, angenommen hat, und schöner als William S. Burroughs es in seinem Nachwort 1981 schrieb, kann man Denton Welch kaum beschreiben, als "Meister im Erfinden von Sätzen, die sich einem unauslöschlich einprägen und die kein anderer hätte schreiben können."
(Lore Kleinert)
Denton Welch *1915 in Shanghai, englischer Schriftsteller von Erzählungen und Romanen, 1948 gestorben in England
Denton Welch "Freuden der Jugend"
Mit einer Empfehlung von Edith Sitwell und einem Nachwort von William S. Burroughs
Aus dem Englischen übersetzt von Carl Weissner
Roman, Wagenbach Quartbuch 2016, 176 Seiten, 18.00 €