Ian McEwan
Kindeswohl
Fiona ist eine anerkannte und kompetente Familienrichterin am High Court in London, ihr Ansehen ist hoch, ihre Fälle sind kompliziert, denn meist handelt es sich um außergewöhnliche Konflikte, die zu lösen die Familien überfordert.
Leben auf hohem Niveau
Verheiratet ist sie seit dreißig Jahren mit einem Geschichtsprofessor, auch er erfolgreich und anerkannt. Kinder haben die beiden nicht, sie führen ein Leben auf hohem gesellschaftlichen Niveau, harmonisch. Scheinbar. Denn eines Tages fordert Jack die Erlaubnis zu einer Affäre mit einer weitaus jüngeren Frau.
Glauben gegen Leben
Ein Schock, den Fiona zunächst nur wegsteckt, weil sie sich in einen ganz besonders schwierigen Fall stürzt: Ein noch nicht 18jähriger Junge wird an Leukämie sterben, wenn die Eltern einer Bluttransfusion nicht zustimmen. Die aber ist nicht erlaubt – die Familie lebt nach den Glaubensgrundsätzen der Zeugen Jehovas.
Ungeahnte Gewissensbisse
Fiona geht einen unkonventionellen Weg, sie besucht Adam, der lieber sterben will statt seinen Glauben zu verraten, im Krankenhaus und ist fasziniert von seiner Persönlichkeit. Die Entscheidung, im gerichtssaal noch moralisch diffizil und überaus heikel, ist plötzlich eindeutig: Eine Transfusion soll den Jungen gesund machen. Doch das ist nicht das Ende der Geschichte, denn als Lebensretterin und Intellektuelle bekommt Fiona eine besondere Bedeutung für Adam. Er sucht immer wieder Kontakt zu ihr und verstrickt die Richterin schließlich in ungeahnte Gewissensbisse.
Außergewöhnliche Fälle
Ian McEwan hat sich für dieses Buch eine Menge juristischer Kenntnisse über außergewöhnliche Fälle angeeignet und die trägt er auch überaus detailliert vor, das ist oft langatmig und ermüdend. Erst in der zweiten Hälfte dieses Romans gewinnt er an Spannung und Tiefe und läßt zumindest erahnen, warum der Autor den juristischen Fall in eine Ehekrise eingebettet hat, die nicht weiter ausgeführt wird, zwischen all' den juristischen Verstrickungen aber immer wieder aufblitzt.
Gefühle gegen Verstand
Denn im Grunde geht es immer um Gefühle, die Entscheidungen lenken, und um ihre subtilen Vernetzungen mit dem Verstand, der eigentlich etwas anderes sagt und imstande ist, Emotionen so sehr zu verdrängen, dass Menschen erstarren. McEwan bricht diesen Teufelskreis auf, gleich zweimal. Das macht seinen Roman, der real und symbolisch zwischen Leben und Tod spielt, am Ende doch noch spannend.
(Christiane Schwalbe)
Ian McEwan *1948 in Aldershot (Hampshire), englischer Schriftsteller mit zahlreichen Auszeichnungen, lebt bei London
Ian McEwan "Kindeswohl"
The Children Act übersetzt aus dem Englischen von Werner Schmitz
Diogenes 2015, 224 Seiten, 21,90 Euro
eBook 19,99 Euro, AudioCD 24,90 Euro, Hörbuch Download 16,71 Euro
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