Kate Atkinson
Glorreiche Zeiten
"Der Krieg war ein tiefer Abgrund, und es gab kein Zurück auf die andere Seite, zu dem Leben, das sie davor geführt hatten, zu den Menschen, die sie davor gewesen waren. Das galt für sie und das ganze arme zerstörte Europa."
Tod und Alter
"Glorreiche Zeiten" ist ein Kriegsroman, weil er vom Schatten erzählt, den der Krieg auch über die Generationen wirft, die ihn nicht selbst erlebt haben. In Kate Atkinsons letztem Buch "Die Unvollendete" stand Ursula Todd im Mittelpunkt, deren Leben immer wieder endete und neu begann, ein reizvolles Spiel mit den Möglichkeiten des Lebens und des nichtlinearen Schreibens, das viel Anerkennung erfuhr. Jetzt wird die Geschichte ihres jüngeren Bruders Teddy zum roten Faden durch das vergangene 20. Jahrhundert, mit den Themen Tod und Alter als Generalbass, und als Familienroman lässt sich der Roman ebenso lesen.
Mann des Krieges
Beherzt kreuzt er zwischen den Jahrzehnten und Ereignissen hin und her, und Teddys Erlebnisse sind mit den Geschichten seiner Frau und seiner Tochter und Enkel geschickt und spannungsvoll verknüpft. Als Bomberpilot und Captain eines Kommandos fliegt er Angriff für Angriff auf deutsche Städte, wird zum Helden und Mann des Krieges, der zu seiner Überraschung nicht zu den mehr als fünfundfünfzigtausend Fliegern gehören wird, die abgeschossen wurden. Er überlebt, aber zu einem hohen Preis:
"Andere zählten Schäfchen. Teddy zählte die Städte, die er versucht hatte zu zerstören, die versucht hatten, ihn zu zerstören. Vielleicht war es ihnen gelungen."
Immer freundlich
Mit großer Zuneigung erzählt Kate Atkinson von diesem Mann, den für immer die 'Architektur des Krieges' prägt: ein Mann, der beschließt, "dass er immer versuchen würde, freundlich zu sein. Das war das Beste, was er tun konnte. Das Einzige", das dann doch nicht ausreicht. Etwa, um seine Tochter zu erreichen, die er nach dem Tod seiner Frau allein großzieht. Ein Teil von ihm blieb für immer in seinem Halifax Bomber verschlossen, verbissen gegen unüberwindbare Schwierigkeiten kämpfend und todbringend für Schuldige und Unschuldige gleichermaßen, und die Autorin beschreibt die spezifisch englische Unfähigkeit, sich zu öffnen, die sich wie Mehltau auf die familiären Beziehungen legt und Teddy zu ebenso stoischem wie tapferem Durchhalten verdammt.
Karikatur einer Generation
Während er für seine Enkel zum mitunter einzigen Halt wird, zeichnet Atkinson seine Tochter Viola als eigensüchtig, verachtungsvoll gegenüber allem, was sie nicht versteht und extrem unsympathisch. Als hirnlose Hippiemutter vernachlässigt sie ihre Kinder, als Autorin seichter Unterhaltungsromane wird sie zur Karikatur einer Generation, die die Werte der Eltern zerschlug, ohne Neues an ihre Stelle setzen zu können und ihre geistige Trägheit mit dem Nimbus des Grandiosen und Besonderen verhüllte.
"Viola sah sich als jemanden, dessen Inneres aus einem harten Material war, als wären weiche Organe und Gewebe irgendwann in der Vergangenheit verkalkt. Die Versteinerung der Viola Romaine. Guter Titel für irgendwas. Ihr Leben vermutlich. Aber wer würde es schreiben?"
Zwischen den Generationen
In vielen Vignetten werden die fehlschlagenden Beziehungen von Eltern und Kindern ausgeleuchtet, und es gelingt Kate Atkinson, Verbindungslinien zwischen den Generationen herauszuarbeiten: Das, wofür die heimkehrenden Väter gekämpft und woran sie geglaubt hatten, schien ihnen "auf einer instabilen Mischung aus Treibsand und Einbildung errichtet worden" zu sein – wenig genug, um den Kindern die Langeweile eines selbstgenügsamen Lebens schmackhaft zu machen, und nicht hinreichend, um dem eigenen Leben eine andere Wendung zu geben oder sich wenigstens gegen die schlimmsten Zumutungen zu wehren.
Mit viel Humor
Nachkriegsengland selbst erscheint als Land, das den Krieg zwar gewonnen, aber sich selbst verloren hat. Doch die Autorin behält sich vor, mit Humor und mit literarischen Volten, die hier nicht verraten werden dürfen, die Phantasie der Leser auf neue Fährten zu lenken. Sie setzt darauf, dass Erinnerung, Geschichte und vor allem die Literatur Konstruktionen sind, die immer auch unerwartete Möglichkeiten, Vexierbilder bereithalten, und ihr neuer Roman geht souverän damit um.
(Lore Kleinert)
Kate Atkinson *1951 in York, britische Schriftstellerin, lebt in Edinburgh
Kate Atkinson "Glorreiche Zeiten"
"A God in Ruins" übersetzt aus dem Englischen von Anette Grube
Roman, Droemer-Knaur 2015, 512 Seiten, 19,99 Euro
eBook 17,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Kate Atkinson
Das vergessene Kind