Pippa Goldschmidt
Weiter als der Himmel
Überraschend an diesem Roman ist zunächst, dass man meint, astronomische Forschung zu verstehen, wenn man der jungen Wissenschaftlerin Jeanette bei ihrer Arbeit zusieht. Dabei geht es nicht in erster Linie um Astronomie, sondern um die Freude am Entdecken und zu verstehen, welche Leidenschaft Wissenschaftler für ihre Arbeit aufbringen. "Manchmal komme sie sich vor wie Alice im Wunderland. Sie jagt Kaninchen durch Löcher und fällt endlos mit unbekanntem Ziel."
Zwischen den Galaxien
Jeanette studiert als Postdoktorantin aus Edinburgh Ursprung und Struktur des Universums, also Kosmologie, und mit einem Teleskop entdeckt sie eine bisher unbekannte Verbindung zweier Galaxien. Da damit die Theorie vom Urknall in Frage gestellt werden könnte, schwanken die Reaktionen ihrer Kollegen zwischen Neid, Skepsis und Vorsicht, und Pippa Goldschmidt, selbst promovierte Astronomin und zehn Jahre mit der Beobachtung ferner Galaxien beschäftigt, beschreibt, wie die Entdeckung ihre Kollegen gegen sie aufbringt.
Das geschieht im Jetzt, ebenso wie die hoffnungslose Liebesgeschichte Jeanettes mit Paula, einer Malerin, die ausschließlich um sich selbst und ihre Kunst kreist.<
Dazwischen taucht die junge Frau ab in ein Damals, als ihre ältere Schwester beim Schwimmen starb und ihre Eltern nicht mir ihr darüber sprechen konnten. Damals begann sie die Sterne zu beobachten,
"die wie ein Segen wirken. Sie blickt so lange zu ihnen auf, dass sie ihre Bewegungen bemerkt. Sie halten nicht Schritt mit dem Mond, der weit oben einen Bogen beschreibt. Sie haben ihr eigenes Tempo. Während sie sich drehen, will sie eine Kette aus ihnen ergreifen, damit sie sie weit fort von hier bringen.“
Verstörte Kindheit
Ihre Liebe zu isolierter Beobachtung ist in einer einsamen Kindheit begründet, deren Schmerz mit dem Bild der fernen, vielleicht verbundenen Galaxien allmählich in ihr Leben einsickert und ihr die Sicherheit der messbaren Naturwissenschaft unter den Füßen wegzieht. Als der berufliche Druck zunimmt, droht ihr der Bezug zur Realität allmählich abhanden zu kommen, - "lost in the Stars" wäre die Folge. In ihren Träumen und Reflektionen über das Damals wird deutlich, wie sehr ihre Gegenwart von den Verstörungen der Kindheit geprägt ist, - "sie selbst steckte in der Stille fest."
Ironische Distanz
Ihre Beziehung zu den Eltern, eingefroren und distanziert, bricht schließlich auf, wenn sie sie damit konfrontiert, wie ihre eigenen Gefühle nach dem Tod der Schwester allmählich ausgelöscht wurden. Den weiten Weg dahin schildert Pippa Goldschmidt mit großer und genauer Zuneigung zu ihrer Hauptfigur, deren Sicht sie nie verlässt, und mit wohltuend ironischer Distanz zum akademischen Betrieb und den Herzlosigkeiten der Kunstszene. Je tiefer Astronomen in den Raum schauen, umso weiter blicken sie zurück in die Zeit, und Jeanette sucht die Sterne, um ihre verlorene Geschichte wiederzufinden, ohne sich zunächst dessen bewusst zu sein,
"Sterne, die noch weiter in der Zeit zurückliegen. Das Licht von diesen Sternen, das sie jetzt sieht, haben sie abgegeben, bevor Kate gestorben ist. Sie kann in die Vergangenheit sehen, in ein Universum, das von Kates Tod unberührt ist."
Mit Verlusten leben
Sie lernt, dass das Verhalten von Menschen dennoch nicht berechenbar ist und dass erwachsen zu werden heißt, mit Verlusten leben zu lernen und sich wiederzufinden. Weil im großen Universum nichts wirklich verloren geht, ist dieser Roman auch ein gelungenes Spiel mit der Kluft zwischen Kunst und Wissenschaft, der Balance zwischen Menschlichkeit und Abstraktion. Für Pippa Goldschmidt gehören beide Welten zu einer einzigen Kultur, und in ihrem ersten Roman hat sie die kosmologische und die persönliche Dimension faszinierend verbunden.
(Lore Kleinert)
Pippa Goldschmidt * in London, Astrophysikerin und Schriftstellerin, lebt in Edinburgh
Pippa Goldschmidt "Weiter als der Himmel"
übersetzt aus dem Englischen von Zoë Beck
Weidle Verlag 2015, 284 Seiten, 19 Euro
eBook 12,99 Euro