Richard Russo
Mittelalte Männer
„Hätte uns jemand vor zwanzig Jahren gesagt, wir würden unsere akademischen Laufbahn an der West Central Pennsylvania University in Railton verbringen, hätten wir ihn ausgelacht. Aber jetzt lachen wir nicht mehr, und die Vorstellung, dass wir zusammen alt werden, ist wahrlich nicht lustig, und doch wird uns allen vermutlich nichts anderes übrig bleiben.“
Boshafte Kolumnen
William Henry Deveraux Jr nennt sich Hank, lehrt Englische Literatur und Creative Writing an einem unbedeutenden College im Mittleren Westen, schreibt boshafte Kolumnen und sonnt sich darin, seine Kolleginnen und Mitstreiter vor den Kopf zu stoßen. Als Interimsleiter der Fakultät entzieht er sich mit Hochgenuss allen Anforderungen, Sparmaßnahmen einzuleiten, - ein spottlustiger Anarchist auf unkündbarem Posten, dessen spitze Zunge ebenso legendär ist wie seine Begabung zur Selbstironie.
„Niemand hat auch nur eine Sekunde lang geglaubt, ich würde auf meinem Posten irgendetwas tun. Niemand konnte sich vorstellen, ich würde die erforderlichen Formulare finden. An der ganzen Universität weiß man um meine militante verfahrenstechnische Inkompetenz.“
Gewagte Manöver
Die Woche kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag, die Richard Russo ihm als Romanhelden gewährt, hat es in sich. Eine zornige Kollegin verletzt seine Nase mit einem Spiralblock und verhilft ihm zur Pappnase, seine Blase versagt allzu häufig den Dienst – Krebs oder Nierenstein, das ist hier die Frage. Sein hochkomischer Auftritt mit dem Hals des Campus-Gänserichs in der Faust und der Drohung, Enten zu schlachten, wenn sein Etat nicht bald beschlossen wird, wird im landesweiten Fernsehen ausgestrahlt und sorgt für wütende Proteste militanter Tierschützer. Und zu allem Überfluss suchen ihn Phantasien über die Untreue seiner Frau heim, dabei wird er seinerseits angeflirtet, und er weiß nicht, wie er die Ehe seiner Tochter retten kann. Die vielen Fallstricke, die sich vor Hank Deveraux aufbauen, fordern ihn zu immer gewagteren Manövern auf.
Mit scharfem Blick
Richard Russos Kunst besteht darin, die slapstickhafte Komik der ineinandergreifenden Szenen mit dem Bemühen seines witzigen und originellen Helden zu verbinden, sich selbst dann doch den Spiegel vorzuhalten. Das betrifft die eigene Karriere und Familiengeschichte, denn seit seinem ersten Roman sind zwanzig Jahre vergangen, ohne dass er weitere literarische Erfolge gehabt hätte, während beide Eltern der englischen Fakultät Ehre gemacht haben. Allerdings verließ der Vater früh die Familie, wegen junger Frauen, und um Karriere an berühmteren Universitäten zu machen. Hank Deveraux kann diesen Umstand nicht länger verdrängen, und der Autor und Pulitzer-Preisträger Russo bietet ihm die Chance zu besserer Einsicht. Großartig pointiert und böse beschreibt er die Verhältnisse an der kleinen amerikanischen Universität, die sich in mancher Hinsicht kaum von denen bei uns unterscheiden, und er hat einen scharfen Blick für die Besonderheiten, denn er hat selbst jahrelang an Colleges gelehrt. Wenn akademische Debatten nur noch darauf hinauslaufen, dass sich die Beteiligten noch tiefer hinter der eigenen Position verschanzen, werden die Studierenden die Kunst des argumentativen Diskurses durch moralische Entrüstung ersetzen, so wie es zu beobachten ist:
„Wenn ihre Professorinnen und Professoren – ob Feministinnen, Marxisten, Historismusvertreter oder andere Gruppen von Theoretikern – misstrauischen, geschlossenen intellektuellen Zirkeln angehören, denen es weniger daran gelegen ist, miteinander zu reden, als ihr Revier abzustecken und ihre eigene Agenda zu verfolgen, warum sollten sie dann das Debattieren erlernen?“
Geschlossene Welten
Obwohl Russos Campusroman in den USA schon 1997 erschien, haben diese Einblicke in die geschlossenen Welten kleinstädtischer Bildungs-Leuchttürme nichts an Genauigkeit verloren. Auch auf genderkorrekten Sprachgebrauch wird bereits gepocht. Seither sind die Auseinandersetzungen bitterer und heftiger geworden, doch dem Vergnügen an einem höchst unvollkommenen Helden mit peinlich genauer Innensicht steht dennoch nichts im Wege. Seine Unangepasstheit entlarvt sich als Pose und dauerhafter Weg des geringsten Widerstands, und damit zeichnet der Autor, Jahrgang 1949, auch ein Bild der Selbsttäuschungen seiner eigenen Generation. Wenn Hanks Probleme und Zipperlein im Stil einer Screwball-Komödie kulminieren und sich rasend beschleunigen, sind wir als Leser und Leserinnen gern an seiner Seite.
(Lore Kleinert)
Richard Russo, *1949 in New York, erfolgreicher Autor zahlreicher Romane, erhielt 2002 den Pulitzer-Preis
Richard Russo „Mittelalte Männer“
aus dem Englischen von Monika Köpfer
Roman, Dumont Buchverlag 2021, 605 Seiten, 26 Euro
eBook 19,99 Euro