Sebastian Barry
Tage ohne Ende
"Wir waren zwei Hobelspäne der Menschheit in einer rauen Welt", erinnert sich Thomas McNulty an seine erste Begegnung mit John Cole. Bevor sie sich als Soldaten verpflichten, da ist er noch keine 17 Jahre alt und John wenig älter, tanzen sie in Mädchenkleidern in Mr. Noones Saloon mit einsamen Bergleuten und Goldsuchern, "saubere Jungs", Strandgut der irischen Hungersnot und des Scheiterns im neuen Land USA in den 1850er Jahren.
Lebenslange Liebe
Thomas, der sich später in Frauenkleidern wohler fühlen wird als in der Armeeuniform, erzählt auf unnachahmliche Weise von ihrem Leben und ihrer geheimen, lebenslangen Liebe. In albtraumhaften Szenen schildert er ihre Beteiligung an der Säuberung des Südwestens von den rechtmäßigen Eigentümern des Landes, den Indianern, die der Oregontrail der Regierung blutig abschloss.
"Wir sahen die Schemen von Indianern und stachen mit unseren Bajonetten auf sie ein. Wir arbeiteten uns durch die umherrennenden Körper voran und versuchten, alles zu töten, was sich in dem Qualm bewegte…Wir wollten, dass der Feind zum Verstummen gebracht und vernichtet wurde, damit wir selber leben konnten… Wir waren nicht wir, wir waren andere Menschen. Wir waren Mörder – Mörder, wie es sie noch nie gegeben hatte.“
Der junge Soldat weiß, dass er schuldig wurde, denn "der Feind“, das waren bei diesem Massaker Frauen und Kinder. Der irische Schriftsteller Sebastian Barry hat in ihm einen Erzähler erschaffen, der die Innenwelt der jungen Männer aller Kriege in höchst origineller Weise aufschließt: Mut und Grausamkeit sind untrennbar verbunden, und jede Erkenntnis, unrecht zu tun, wird sofort vom Wunsch, zu überleben und von Nutzen zu sein, überlagert.
Porträt eines Kriegers
Als ausgehungerte Horden kamen sie ins Land, gezeichnet vom Hunger und Gewalt in der alten und der neuen Welt. Sich zu betrinken, um zu vergessen, gehört ebenso dazu wie das Klammern an die einzige Gemeinschaft, die die Soldaten zu haben glauben, ihre Armee. Barry entwirft das Portrait eines Kriegers, der dennoch nicht von Schuldgefühlen zerfleischt wird, weil er sie sich gar nicht leisten kann.
"Die Angelegenheiten der Leute gingen uns etwas an, wir hatten was für sie getan. So in etwa. Entfacht ein Feuer im Bauch. Fühlte sich richtig an. Wenn auch nicht unbedingt gerecht. Die Wünsche der Mehrheit erfüllen, etwas in dieser Art, ich weiß nicht. So stand es um uns. Ist lange her, schätz ich.“
Dass dieser Erzähler dennoch viel tiefere Schichten des Erlebens berührt, liegt an seinem Mitempfinden mit den Männern, die kaum eine Wahl haben und doch versuchen, ein "kleines Königreich gegen die Finsternis“ zu errichten, und an seiner großartigen, Thomas Nulty passgenau angemessenen Sprache. Thomas und John erleben nach dem Feldzug glückliche Zeiten, als sie in einer Art früher Travestieshow Momente intensiver Liebe performen, in Mr. Noones Bar nunmehr in Grand Rapids, Missouri. Hier entwerfen sie die Vision eines besseren, freieren Lebens, als sie sich mit dem geretteten Indianermädchen Winona zu einer neuen, selbstgewählten Familie zusammenschließen.
Niemand sagt ein Wort
Doch der Krieg holt sie wieder ein, der Bürgerkrieg diesmal, der mit dem Grauen im Gefangenenlager Andersonville und der Flucht aus Tennessee nicht endet, sondern für Thomas/Thomasina auch im Frieden noch eine böse Pointe bereithält, und er weiß, er gehört immer zu den
"komische(n) Leute(n), Soldaten, die in Kriegen feststecken. Wir machen keine Gesetze in Washington. Wir spazieren nicht über die großen Rasenflächen dort. Stürme bringen uns um und Schlachten, die Erde schließt sich über uns, und niemand sagt ein Wort, und ich glaube nicht, dass es uns was ausmacht.“
Immer wieder stößt Thomas auf den Major, der einst den Kampf gegen die Indianer anführte, durchaus Sinn für Gerechtigkeit hat und inzwischen längst in der Hierarchie aufgestiegen ist. Subtil skizziert Barry die Abhängigkeitsverhältnisse, denen keiner entkommen kann, und auch das zurückgezogene Leben auf einer Tabakfarm, das sie sich erkämpften, wird jäh wieder beendet. Das Hin und Her zwischen friedlichen Zeiten im Frauenkleid und brutalem Soldatenleben in Uniform gibt dem Roman seinen besonderen, poetischen Unterton. "In Amerika wird alles Schlechte erschossen…und alles Gute auch“ – John Cole, Thomas‘ schöner Geliebter, weiß ebenso wie er, wie wenig Chancen das Land der großen Möglichkeiten wirklich bereit hält.
Kampf um Würde
Doch in seinem vierten, von Hans-Christian Oeser wunderbar übersetzten Roman um seinen irischen Simplicissimus setzt Sebastian Barry auch der Zähigkeit der sogenannten 'kleinen Leute' ein Denkmal, ihrem illusionslosen Kampf um Würde, um Zuneigung, in einem tief gespaltenen, gesetzlosen Land, in dem Hass und Gewalt spuken. Und die Liebesgeschichte der beiden Männer verhindert, dass jemals Bitterkeit obsiegt: “John Cole. Ist wie Nahrung. Brot der Erde. Das Lampenlicht berührt seine Augen, und ein anderes Licht antwortet.“
(Lore Kleinert)
Sebastian Barry, *1955 in Dublin, bekannter und vielfach ausgezeichneter irischer Autor von Theaterstücken, Lyrik und Prosa
Sebastian Barry "Tage ohne Ende"
aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Roman, Steidl Verlag 2018, 265 Seiten, 22 Euro
Weiterer Buchtipp zu Sebastian Barry
"Tausend Monde"