Rachel Cusk
Kudos
Ungewollte Berührungen muss Faye ertragen, als sie auf dem Weg zu einem Literaturfestival im Flugzeug neben einem total übermüdeten Mann sitzt, einem ehemaligen Unternehmensberater, dem sie schließlich ihren Platz am Gang anbietet, weil er dann die Beine ausstrecken kann – und, ständig wieder einschlafend, der Flugbegleiterin in die Quere kommt.
Auf Reisen
Eine fast komische Szene zu Beginn des dritten Bandes der Trilogie über eine "weibliche Odysee im 21. Jahrhundert", in der Rachel Cusk die mäßig erfolgreiche Schriftstellerin Faye – zweifelsohne ihr Alter Ego – erneut auf Reisen schickt, um ihr neues Buch vorzustellen. Von diesem Buch erfahren wir wenig, und auch die Autorin bleibt weitgehend fremd. Im Mittelpunkt stehen die Geschichten der anderen – da ist die tragische Liebe zu einem großen Hund, der eingeschläfert werden musste, während Frau und Kinder schon in den Ferien sind, und der Besitzer, jener übermüdete Mann, weiß nicht, wie er es der Familie beibringen soll, die ihn dafür hassen wird.
Süchtig nach Sudoku
Tiefe Ablehnung kennt auch der Verleger, eine elegante Erscheinung, der dem Verlag wieder zu finanziellem Erfolg verholfen hat – nicht mit literarischen Großprojekten, sondern durch die Herausgabe von Sudoku-Heften:
"Ehrlich gesagt bin ich inzwischen selbst süchtig danach. Natürlich gab es einen Aufschrei – wer will sich schon mit so etwas die Hände schmutzig machen? Doch die Aufregung legte sich, als die kommerziell weniger erfolgreichen Autoren verstanden, dass wir ihre Bücher nur auf diesem Wege finanzieren können."
"Kudos" erfahren wir auf einem Spaziergang mit dem Sohn der Festivalleiterin, der regelmäßig Gäste durch die Stadt führt und am liebsten Stadtpläne studiert, ist der Name einer schulischen Auszeichnung. Der Name sei griechischen Ursprungs und bedeute Ruhm und Ehre.
Macht der Schönheit
Was leider nicht für Faye gilt, man kennt sie zwar, aber populär ist sie nicht. Und brav. Nach dem Literaturfestival absolviert sie alle Interview-Termine, bei denen demütigende Pannen passieren: Die Fernsehtechniker scheitern an der Studiotechnik, während die perfekt gestylte Redakteurin sich über die Diskriminierung berühmter Frauen zu ereifern beginnt:
"Es sei nämlich immer noch so, sagte sie, dass nur die wenigsten bemerkenswerten Frauen auch tatsächlich anerkannt würden, außer sie seien verstorben oder würden aufgrund ihres Alters oder ihrer Hässlichkeit nicht als öffentliche Gefahr wahrgenommen."
Das geplante Interview gibt es nicht, dafür aber die ausführliche weibliche Kindheitsgeschichte der Journalistin, die ihren Job – so das Fazit –
"unter anderem deswegen bekommen (hat), weil ich in der Lage bin, mein Aussehen zu verändern … Ich interessiere mich für Macht, und die Macht der Schönheit ist eine nützliche Waffe, die die Frauen allzu oft entwerten oder falsch gebrauchen."
Biografische Schlaglichter
Faye bringt ganz ungewollt andere zum Reden und kann sich selbst dahinter verbergen: Hinter Verlegern, Journalisten oder Berichterstattern, die an einem Tag über religiöse Wunder und am anderen über Staatskorruption schreiben müssen, obwohl sie lieber mit Schriftstellern plaudern. Sie verschwindet hinter Literaten, Managerinnen oder Assistentinnen, hinter Frauen auf der Suche nach dem Sinn der Ehe oder eines Single-Lebens, hinter Männern, die an Job oder Familie verzweifeln – Rachel Cusk pickt aus dem Universum menschlicher Schicksale biografische Schlaglichter heraus, in denen es um kaputte Beziehungen, soziale Gerechtigkeit, weibliche Demütigungen oder männliches Machtstreben geht. Und gefühlt haben diese Personen alle miteinander zu tun, auch wenn der rote Faden fehlt.
Leicht und elegant
Es ist ein ebenso geschickter wie wirkungsvoller Kunstgriff, mit dem Rachel Cusk die Spannung hält, lakonisch, geistreich und trotz ihres psychologischen Gespürs immer distanziert erzählt, von einer individuellen Geschichte zur nächsten führt, dabei leicht und elegant in der Sprache. Ein faszinierendes, literarisches Experiment, zu dem sie ein Shitstorm motivierte: Zwei Romane über Mutterschaft und eigene Scheidung riefen unter Lesern in Großbritannien vehemente Empörung hervor. Vier Jahre später ist aus der verhaßten Schriftstellerin eine Kultautorin geworden, die sich mit einer ungewöhnlichen Erzähltechnik hinter den Stimmen der anderen geschickt versteckt und dennoch nicht unsichtbar bleibt.
(Christiane Schwalbe)
Rachel Cusk, *1967 in Kanada, englische Autorin, die seit ihrer Jugend in England lebt
Rachel Cusk "Kudos"
"Kudos" aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné
Roman, Suhrkamp 2017, 215 Seiten, 20 Euro
eBook 16.99 Euro
Weitere Buchtipps zu Rachel Cusk
"Danach"
"Transit"
"Outline"