Rachel Cusk
Outline
Ein kurzes Treffen als Auftakt eine ganzen Reihe von Begegnungen: Die Ich-Erzählerin ist mit einem Milliardär verabredet, der eine Literaturzeitschrift gründen will. Er "erzählte mir bereitwillig aus seinem Leben, das völlig unverdächtig begonnen und ihn – offensichtlich – zu dem gelassenen und wohlhabenden Menschen gemacht hatte, der mir nun gegenüber saß."
Ein Junge als Mädchen
Bereitwillig erzählen auch alle weiteren Personen, die ihr auf dem Weg nach und in Athen begegnen, aus ihrem Leben. Im Flugzeug beginnt ihr Nachbar ein Gespräch, er ist nicht mehr jung, hat drei gescheiterte Ehen hinter sich und eine Kindheit, in der er als Mädchen herumlaufen musste:
" … seine Mutter wollte sich einreden, er wäre ein Mädchen. Seine langen Locken wurden nicht geschnitten, er wurde in Kleider gesteckt und bei dem Mädchennamen gerufen, den seine Eltern für die langersehnte Erbin ausgewählt hatten."
Geschichten aus dem Leben
Er holt Fotos aus der Tasche, die sie interessiert betrachtet, während er erzählt, dass er stets "mehr Liebe" gesucht habe. Nur einmal auf diesem Flug entlockt er ihr etwas über ihre eigene Person:
"Ich erzählte ihm, dass ich seit kurzem in London wohnte und vorher in einem Haus auf dem Land gelebt hatte, drei Jahre allein mit meinem Kindern und in den sieben Jahren davor mit dem Vater der Kinder."
Was wir noch erfahren: Dass sie einen Schreibkurs geben wird in Athen, dass sie in der Wohnung einer Kollegin leben wird, die sie im Sommer Gastdozenten zur Verfügung stellt; dass ihr Sohn sie ab und zu auf dem Handy anruft, einmal, weil er sich verlaufen hat; dass eine Teilnehmerin den Kurs empört abbricht, weil dort nur Geschichten erzählt werden und es nicht ums Schreiben geht; dass ihr ein Kredit nicht bewilligt wird. Das ist wenig und doch genug, um als Leser dieser merkwürdig farblosen Frau selbst Konturen zu geben.
Konsequente Distanz
Sie wahrt konsequent Distanz, trifft sich zwar noch zweimal mit dem "Nachbarn" aus dem Flugzeug, der sie auf sein Boot einlädt, hegt aber keinerlei Absichten - im Gegensatz zu ihm. Es gibt keine Handlung, kein wirkliches Thema, die Geschichten kreisen um (Ehe)Krisen und Niederlagen, um enttäuschte Hoffnungen und den langen Weg zu einer Identität. Und während die Menschen um sie herum ihr Herz öffnen und sehr persönlich werden, bleibt sie kühl, nahezu unbeteiligt, blass. Man wartet vergeblich darauf, dass auch sie sich outet, denn man ahnt, dass sie Ähnliches erlebt hat.
Weibliche Odyssee
Es entsteht ein ununterbrochener, fast magischer Erzählfluss, durchbrochen nur von ihren Gedanken, Beobachtungen und Interpretationen. Daraus entwickelt sich eine große Spannung, in der sich die Grenzen zwischen Zuhören und Erzählen verwischen. Ein ungewöhnlicher, durchaus rätselhafter Roman, der aus vielen Skizzen zusammengesetzt ist und eine Fortsetzung haben wird. Outline – so heißt es vielversprechend - ist der Auftakt zu einer Trilogie, einer "weiblichen Odyssee im 21. Jahrhundert". (Christiane Schwalbe)
Rachel Cusk *1967 in Kanada, englische Schriftstellerin, lebt seit ihrer Jugend in England
Rachel Cusk "Outline"
Roman, Suhrkamp 2016, 235 Seiten, 19,95 Euro
eBook 16,99 Euro