Ana Marwan
Verpuppt
Worum es geht in diesem Roman der Bachmannpreisträgerin 2022, der in Slowenien mit dem Preis für das beste Buch 2021 ausgezeichnet wurde? Das ist nicht gerade einfach zu erzählen – weil es eine klar umrissene Erzählung nicht wirklich gibt.
Schüchterner Teenager
Aber es gibt Personen: Rita, die lieber Julia heißen möchte, Anja, ihre Freundin, die nicht nur schön, sondern auch kreativ ist, Jež, der sich selbst Bürokrat nennt und im Ministerium für Verkehr und Kommunikation angestellt ist, und seine Frau, eine Staatsanwältin, die ihn betrügt und verlässt.
„Er solle sich eine Frau suchen, riet ihm ein Freund. Der Gedanke war nicht so verkehrt. Die Liebe ist vermutlich die einzige Ausrede, um neue Bindungen einzugehen. Zwar fehlte schon lange der Glaube daran ... und wenn er jemanden neben sich hätte, würde er bestimmt auch besser essen, er würde aufhören, aus der Dose zu essen."
Auf der Geburtstagsparty einer gewissen Frau Klammer lernen sich die beiden kennen, „Jež wurde zwischen seine Frau und ein Kind gesetzt." Rita ist allerdings schon ein Teenager, wenn auch ein schüchterner, der mit dem Leben noch nicht viel anzufangen weiß. Sie kennt kaum Leute, dafür umso mehr Bücher. Sie schreibt selbst Geschichten und – erfindet sich Jež. Jedenfalls hat es den Anschein, als gebe es einen wahren und einen erfundenen. Rita tastet sich langsam voran, Schritt für Schritt in ein Leben außerhalb festgeschriebener Normen. Insofern ist „Verpuppt" ein Roman über das Erwachsenwerden – bei der Verpuppung einer Insektenlarve findet schließlich auch ein Umbau statt, es ist das letzte Entwicklungsstadium, bevor der Schmetterling schlüpft.
Ohne Gewissheiten
Aber vielleicht ist sowieso alles erfunden - von Rita, die in einer psychiatrischen Anstalt sitzt, in der man ihr die Aufgabe gegeben hat, über ihre Zukunft und ihr Erwachsenwerden eine Geschichte zu schreiben. Rätseln gehört zu diesem Text dazu, er liefert weder eine eindeutige Geschichte noch Gewissheiten, hat zwischendurch kursiv gedruckte Passagen - eine Art innere Stimme Ritas. Ana Marwan spielt mit Figuren und ihren Gedanken, als LeserIn muss man schon gehörig auf der Hut sein, um sich in diesem Netz aus Fiktion und Realität nicht zu verirren. Denn das bedeutet, dass man am besten wieder ein paar Seiten zurückblättert, um nachzulesen, ob man vielleicht etwas übersehen hat. In der Regel hat man nichts übersehen, Ana Marwan will uns keine logischen Schlußfolgerungen ziehen lassen. Sie will uns in die reale, wahrnehmbare Welt ebenso führen wie in die der Gedanken, die sich in den Köpfen ihrer Personen abspielen.
„Manchmal stört es mich, dass ich nur Wörter spreche. Ich würde gern heimliche Gedanken und Gefühle sprechen. Vielleicht läßt sich so, wenn auch noch so kurz, ein Kontakt zu den Mitmenschen herstellen. Aber wie sehr ich auch versuche, in die Tiefe zu gehen, alles, was herauskommt, wird sofort zu einem Wort."
Wunderbare Zukunft
Immerhin: Rita und Jež treffen sich, lernen sich näher kennen. Sie besucht ihn sogar - real oder in ihrer Fantasie - sie plaudert mit ihm, verliebt sich vielleicht. Aber über Gefühle wird nicht viel gesprochen in diesem Roman. Ritas Interesse an Jež stößt bei ihm, dem deutlich Älteren, eher auf väterliches Erstaunen und auf eine gewisse Scheu vor „verwirrten Mädchen". Er will seine Ruhe haben:
„Jež wird den Kontakt abbrechen müssen. Das ist das Beste für alle ... Dann würde er Rita sagen, dass er einfach wisse, welch wunderbare Zukunft sie vor sich habe, und dass sie wissen solle, dass sie in dieser Welt alles haben könne, was sie wolle. Außer natürlich dreißig Jahre ältere Freunde, die ihre Väter sein könnten, und ähnliche gesellschaftlich inakzeptable Dinge, weil man sich der Gesellschaft beugen muss, wenn man nicht geschlagen werden will ..."
Und um das Verwirrspiel komplett zu machen: Jež und Rita treffen sich nicht nur privat, sie sind auch Arbeitskollegen. Beide arbeiten im Ministerium Verkehr und Kommunikation, Abteilung Raumfahrt. Aber auch das läßt sich natürlich nicht mit Gewissheit sagen – Verpuppung eben, die Häutung ist noch nicht vollzogen. Ein durchaus verkopftes, oft sehr heiteres Spiel mit Sprache, Ansichten, Einsichten, Assoziationen,Traumbildern, Phrasen, Fantasien und gesellschaftlichen Konventionen, bei dem man sich gar nicht abmühen sollte, wirklich alles logisch erklären und im herkömmlichen Sinne verstehen zu wollen. Man darf sich ruhig mal verwirren lassen.
(Christiane Schwalbe)
Ana Marwan, *1980 in Slowenien, Literaturwissenschaftlerin, Autorin von Kurzgeschichten, Romanen und Gedichten auf Deutsch und Slowenisch, Chefredakteurin der Literaturzeitschrift "Literatur und Kritik", lebt in Wien
Ana Marwan "Verpuppt"
aus dem Slowenischen von Klaus Detleg Olof
Roman, Otto-Müller-Verlag Salzburg 2023, 220 Seiten, 24 Euro