Ann-Marie Ljungberg
Dunkelheit, bleib bei mir
Am 3. März 1940 sprengten Terroristen das Gebäude der sozialistischen Zeitung "Norskenflamman" im nordschwedischen Lulea in die Luft, fünf Menschen, darunter zwei Kinder, starben.
Nationalheld im Winterkrieg
Viele Schweden hielten damals die deutsche Politik für das kleinere Übel, denn die Sowjetunion hatte Finnland angegriffen, der "Winterkrieg", hierzulande wenig bekannt, ging in seine letzte Phase und der finnische General Mannerheim galt als Nationalheld. Ann-Marie Ljungberg blendet vom Prozess gegen die Beteiligten zurück in die Monate, als sie die Tat planten.
Finnlands Freiheit
Paul Wilhelmsson steht dabei im Zentrum, ein Journalist, der als Kind drei Jahre lang lungenkrank war und deshalb später nicht als Freiwilliger für Finnlands Freiheit kämpfen darf. Der General wurde sein Held:
"Einer der vielen nicht enden wollenden Vormittage im Sanatorium kommt ihm in den Sinn. Außerhausaufenthalte, der Wind, der durch die rauschenden Fichten strich, die Pritschen draußen auf der Terrasse. In seinen Händen eine Zeitung und darin ein Portrait von Mannerheim … Mannerheim im grauen Mantel, ein Kragen aus schwarzem Pelz. Weiße Mütze. Das Fernrohr vor der Brust und die Pfeife in der Hand. Im Schnee … Da ist sie wieder, die Eingebung, er denke Mannerheims Gedanken."
Mythische Führungsfigur
Meisterhaft zeichnet die Autorin nach, wie sich aus seiner Verwirrtheit der Wunsch zu handeln herauskristallisiert. Wenig planvoll und nur im Kontakt zu den anderen Verschwörern und ihren durchaus zahlreichen bürgerlichen Unterstützern nähert er sich der Tat, mit ein paar Soldaten um einen Offizier und den versoffenen Polizeidirektor Dahlström, der in Wilhelmssons Phantasie zur mythisch überhöhten Führungsfigur wird.
"Wilhelmsson hält große Stücke auf ihn, bewundert ihn, und seit das Werbungsverbot für das Freiwilligenkorps aufgehoben ist, genau wie Dahlström prophezeit hat, ziehen sie in der Kälte gemeinsam durch die Stadt und bringen Plakate an, die ihnen aus Stockholm geschickt worden sind … Finnlands Angelegenheiten sind unsere Angelegenheiten. … Ein Volk ist in Gefahr – Ihr könnt helfen ... Schwarz und weiß flattern sie an den Häusermauern."
Politische Überhöhung
Als Wilhelmsson erkennt, wie krank und wahnhaft sein Vorbild ist, sind die Vorbereitungen des Attentats schon zu weit gediehen, und nach der gewaltigen Explosion flüchtet er sich in die Verdrängung der Toten und die politische Überhöhung der Tat. Dies bricht zusammen, als wenige Tage später der Frieden zwischen Finnland und der Sowjetunion bekannt wird.
"Er will nur noch das Gesicht in den Händen vergraben und weinen. Es ist, als ob die Welt, selbst die Dinge, sich in einer einzigen großen Verschwörung gegen ihn und die anderen vereinigt hätte."
Wie ein Attentat entsteht
Wie aus Defiziten und Wünschen ein Attentat entsteht, zeigt dieses Kammerspiel innerer Stimmen eindringlich und dezent. Aus einer Gemengelage von Antikommunismus, Romantik und vager Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben entsteht das Bild eines harmlosen Menschen, der auf eigenartig ziellose Weise zum Terroristen wird - zutiefst erschreckend und eine faszinierende Innensicht des schwersten Terroranschlags der schwedischen Geschichte. Keiner der Täter saß damals länger als fünf Jahre in Haft.
(Lore Kleinert)
Ann-Marie Ljungberg *1964 im schwedischen Haparanda bei Lulea, schwedische Schriftstellerin, lebt in Göteborg
Ann-Marie Ljungberg "Dunkelheit, bleib bei mir"
Aus dem Schwedischen von Eva Scharenberg
Weidle Verlag 2016, 250 Seiten, 23 Euro