Arnon Grünberg
Der Mann, der nie krank war
Eine Oper in Bagdad - was für ein Auftrag für einen jungen, aufstrebenden Architekten! Er heißt Samarendra Ambani, ist Sohn eines Inders und einer Schweizerin und lebt in Zürich.
Durchschnittlicher Typ
Seine Auftragslage ist nicht unbedingt üppig, umso mehr freut er sich über dieses außergewöhnliche Angebot. "Der Mann, der nie krank war" ist ein durchschnittlicher Typ, eher zurückhaltend, unentschieden. Er kümmert sich sehr um seine unheilbar kranke Schwester und ist mit seiner Freundin schon seit Jahren liiert, ohne die Heirat zu wagen. Er verlor seinen Vater mit 16 Jahren (der stürzte bei einer gewagten Kletteraktion ab), er mag keine Konflikte, und auch öffentliche Liebesbezeugungen sind ihm ein Greuel:
"Gefühle und Worte gehören nicht zusammen. Seiner Meinung nach tötet das Wort das Gefühl."
Unheilvolle Entwicklung
Das grüne Band am grauen Rollkoffer, von seiner Freundin liebevoll angebracht, damit er ihn auf dem Gepäckband schnell erkennt, bleibt ein rührend bunter Fleck angesichts der unheilvollen, grotesken Geschichte, in die Arnon Grünberg den Architekten schickt. Denn ihn erwartet nicht etwa Mahmoud, der Auftraggeber, der "den Menschen in Bagdad etwas ästhetisch Wertvolles schenken (wollte), einen Beitrag leisten zur Wiederherstellung der Einheit seines Landes."
Er gerät in eine absolut unerwartete, höchst bedrohliche Lage, der er nur mit Mühe und eher zufällig lebendig entkommt.
Beseelt von einer Idee
Arnon Grünberg erzählt knapp, fast lapidar, nüchtern, spiegelt Gedanken und baut Erinnerungen ein und lässt seinen Protagonisten, der mit Gefühlen nicht gesegnet ist, mit vollkommener Naivität in ein schlimmes Abenteuer rutschen. Lange kann er nicht fassen, was ihm widerfährt, verlangt stets höflich nach Aufklärung. Dabei ist längst klar, dass er wohl besser den Mund halten und nicht nahezu beseelt immer wieder darauf beharren sollte, den Auftrag für den Bau einer Oper in Bagdad erfüllen zu wollen. Einer seiner Peiniger macht ihm unmissverständlich klar:
"Wir wissen, dass du ein Spion bist, Samarendra Ambani. Das steht felsenfest fest, verstehst Du? Wir wissen eigentlich alles. Lange bevor du von uns wusstest, wussten wir schon von dir."
Erneut ausgeliefert
Er kehrt zurück in die Schweiz, äußerlich fast unverändert, in ein Leben in der Normalität. Aber er ist ein anderer, sich selbst fremd geworden. Und dann kommt der nächste Auftrag, der ihn diesmal nach Dubai führt, um dort eine Bibliothek und einen Bunker zu bauen. Er nimmt an - als hätte er aus seinem lebensgefährlichen Abenteuer nichts gelernt. Arglos und von seinem Auftrag überzeugt, gerät er erneut in eine gespenstische Situation, in der er den Arabern als eine Art Spielfigur mit Leib und Seele ausgeliefert ist:
"Sie denken, dass er für eine feindliche Macht arbeitet, doch er weist hartnäckig alle Beschuldigungen zurück. Höflich, aber bestimmt."
Abgründig und vieldeutig
Eine unerbittliche Geschichte, in der nichts harmlos ist, auch wenn es anfänglich so klingt, in der Grünberg seinen Protagonisten in seelische und körperliche Qualen schickt, ohne dass der wirklich begreift, was mit ihm geschieht, und bei aller erlebter Pein einfach nicht in den Kategorien "Freund" und "Feind" denken will. Ein Buch das man in einem Rutsch liest – ungläubig, atemlos und zutiefst beeindruckt von der abgründigen Vieldeutigkeit dieser Geschichte.
(Christiane Schwalbe)
Arnon Grünberg *1971 in Amsterdam, Autor zahlreicher Romane und Theaterstücke in deutscher Sprache, vielfach preisgekrönt, lebt seit 1995 in New York, auch in Amsterdam und Berlin
Arnon Grünberg "Der Mann, der nie krank war"
Kiepenheuer & Witsch 2016, 240 Seiten, 18,99 Euro, Taschenbuch 9,99 Euro
eBook 9,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Arnon Grünberg
"Muttermale"