Ayelet Gundar-Goshen
Wo der Wolf lauert
„Ich hasste Haifa damals, im Winter der Anschläge. Jeden Augenblick konnte sich die vertraute, gut beleuchtete Straße in einen brennenden Dschungel verwandeln…“
Endlich Freunde
Als die Synagoge im kalifornischen Palo Alto von einem fanatischen Islamisten angegriffen wird, kehrt die Angst zurück ins Leben der Familie Schuster, nach siebzehn Jahren friedlichen und gut situierten Lebens in den USA. Lilach, eine Frau Anfang vierzig, wollte ihrem Sohn Adam den „israelischen Irrsinn“ ersparen und ihn in einem Land aufwachsen lassen, wo es keine Kriege gibt. Doch Adam schließt sich, zunächst widerwillig, einer Krav Maga-Kampfsportgruppe an, um zu lernen, wie man sich effektiv wehren kann. Sein Vater Michael, ein Ingenieur in der High-Tech-Branche des Silikon Valley ist froh, dass sein verträumter und nicht sehr kontaktfreudiger Sohn endlich Freunde hat.
„Die israelische Identität, die in ihm schlummerte, erwachte mit einem Schlag. Er wollte kein amerikanischer Junge sein, der weglief, wenn ein Terrorist die Synagoge stürmte. Er wollte ein Kämpfer sein, mit Gewehr, der auf Vergeltungsaktion ging.“
Ayelet Gundar-Goshen erzählt aus der Perspektive von Lilach Schuster, wie sich die Angst um Sohn und Familie bis in die feinsten Verästelungen ausbreitet: Ein schwarzer Mitschüler Adams, Jamal Jones, bricht während einer Party tot zusammen, und als sie erfährt, dass er ihren Sohn grausam gemobbt hat, lässt sich die Frage nach der möglichen Schuld Adams nicht mehr verdrängen.
Unfehlbares Vorbild
Die Polizei ermittelt, denn Adam experimentierte mit Chemikalien, und antisemitische Schmähungen tauchen auf den Schulwänden auf. Anders als seine Frau vertraut Michael dem Trainer der Krav Maga-Gruppe, Uri, einem ehemaligen Offizier der israelischen Armee, und er verschafft ihm sogar einen Job in seiner Firma. Und Adam macht Uri zu seinem unfehlbaren Vorbild, weil er ihm Halt gibt – und anders als seine Eltern ist.
Facettenreich und feinfühlig entwickelt die Autorin das Beziehungsgeflecht zwischen den Akteuren, - zwischen den Eltern, Adam und dem zwielichtigen Uri, zwischen Lilach und der Mutter des toten Jungen. Lilach Schusters Blick ist stets bemüht liebevoll, doch ihre anfängliche Sicherheit und ihr Vertrauen erodieren allmählich und Paranoia greift um sich. Und sie stellt ihr Leben als israelische Immigrantin in der Diaspora und die Entscheidungen, die die Familie traf, infrage:
„Eines wussten wir beide: Wenn wir hierblieben, würde eine Grenze zwischen ihm und uns entstehen. Michael und ich waren Israelis, die auch Englisch sprachen, und Adam würde ein Amerikaner sein, der auch Hebräisch sprach…Ich fand mich damit ab. Wir hatten die Aufgabe eine Brücke zu bilden: Die Füße waren in Israel verwurzelt, der Leib überspannte das Meer, die ausgestreckten Arme gruben sich in die gute Erde des neuen Kontinents ein, und auf unserem Rücken, auf dieser Brücke, würde Adam hinüberschreiten können.“
Psychologischer Tiefgang
Fast unmerklich entwickelt sich das Familiendrama zum psychologischen Thriller, in dem auch Wirtschaftsspionage eine Rolle spielt. Die Autorin sorgt, wie schon in ihren beiden letzten Romanen, für Hochspannung, ohne jedoch den Bezug zur Sorge der Mutter zu vernachlässigen. Der psychologische Tiefgang bleibt, und das ist die große Stärke des Romans, niemals im Individuellen stecken, sondern wird ins Spannungsfeld von Rassismus und Antisemitismus in den USA eingebunden, und die Autorin stellt immer wieder Bezüge zur Situation in Israel her. Im Altersheim, wo Lilach ehrenamtlich arbeitet, erteilt ihr ein alter schwarzer Mann, Dwayne, eine Lektion:
„Schau, Lila, kann sein, dass ein schwarzer Junge nach der Schule deinen Sohn verhaut, aber sobald sie die Schule abgeschlossen haben, wird dein Sohn so tun, als gehöre dieser Staat seinen Eltern. Die Mutter des toten Jungen ist in Amerika geboren und wird auch hier sterben, aber ich versichere dir, du gehörst viel mehr dazu als sie.“
Damit wird die widersprüchliche Erfahrung von Fremdheit und Zugehörigkeit auf den Punkt gebracht, die Ayelet Gundar-Goshen eindrucksvoll und nicht nur als Familiengeschichte entfaltet.
(Lore Kleinert)
Ayelet Gundar-Goshen, *1982, Psychologin und Autorin, lebt in Tel Aviv
Ayelet Gundar-Goshen „Wo der Wolf lauert“
aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Roman, Kein & Aber, 348 Seiten, 25 Euro
eBook 19,99 Euro, AudioCD 19,39 Euro
Weiterer Buchtipp zu Ayelet Gundar-Goshen
"Löwen wecken"