Charlotte Wood
Ein Wochenende
"Niemand will einen, wenn man alt ist. Man musste vorher einen sicheren Hafen finden. Musste sich der Zukunft stellen, sich auf das Schlimmste vorbereiten. Vorhersehen, sich darauf einstellen, akzeptieren."
Verblassender Ruhm
Drei Frauen auf engem Raum: Das Wochenendhaus am Meer, das der verstorbenen Freundin Sylvie gehörte, muss während der Weihnachtsfeiertage leergeräumt werden. Jude, die früher ein Restaurant leitete und der kommenden Woche mit ihrem seit Jahrzehnten heimlichen Geliebten, einem verheirateten Familienvater entgegenfiebert, ist kontrolliert, effektiv und rechthaberisch. Wendy, die exzentrische Intellektuelle, eine feministische Autorin mit Hippieallüren und verblassendem Ruhm, ist vor allem auf ihren uralten, dementen und inkontinenten Hund Finn konzentriert, und Adele, früher eine berühmte Theaterschauspielerin, wurde gerade von ihrer Partnerin hinausgeworfen und kreist vor allem um ihren ansehnlichen Körper, ihre akute Geldnot und die Hoffnung auf einen neuen Durchbruch.
Gnädige Lügen
Sie beobachten einander, sind mit Erinnerungen aus über vierzig Jahren konfrontiert, und während die Spannung zwischen ihnen steigt, entgleiten ihnen immer mehr Gewissheiten über ihre mehr als siebzigjährigen Leben. In Wendys Perspektive sieht das so aus:
"Bis jetzt hatte sie nie darüber nachgedacht, dass sich das ausgeleierte Gummiband ihrer Freundschaft eines Tages auflösen könnte. Es schien unmöglich. Aber etwas Totes hatte sich in ihre Gefühle füreinander eingeschlichen und schien sich auszudehnen. Es ließ sie an das Great Barrier Reef und die Korallenbleiche denken. Am liebsten hätte sie geweint: über die Hässlichkeit und die Verheerung all dieses Verlusts."
Charlotte Wood mäandert zwischen den Gedanken und Beobachtungen der drei Frauen hin und her, verknüpft sie zu einem Kaleidoskop wechselnder Bilder, über sich selbst, über die jeweils anderen, über die hinter ihnen liegenden goldenen Jahre des Erfolgs und die verbliebenen Hoffnungen. Reale und eingebildete Kränkungen, gnädige und weniger freundliche Lügen und das Leiden am Altern kommen an die Oberfläche, präzise beobachtet und mit hintergründigem Humor eingekreist, während sich die drei Frauen durch die Ablagerungen vieler Jahre arbeiten.
"Sie waren deutlicher zu erkennen, diese geäderten Schichten aus Erinnerungen, aus Erfahrungen – und trotzdem blieb man dieses eine Wesen, das sie alle enthielt. Wenn man hinter sich blickte, oder vor sich, war da nur Leere."
Kammerspiel auf engem Raum
Ob sich das Älterwerden auf Gewohnheiten und Ausflüchte reduziert, oder darauf, sich mit den eigenen starren Meinungen zu Tode zu langweilen, sind quälende Fragen, verbunden mit ungnädigen Beobachtungen der Körper der anderen und mühsam verteidigten Selbsttäuschungen über die körperlichen und geistigen Verluste. Charlotte Wood inszeniert diese Momente wie ein Kammerspiel auf engem, fast klaustrophobischem Raum, blitzartig ausgelöst durch die unwillkommene Nähe der drei Frauen – und Wendys alten Hund. Finn leidet in ihrer Mitte, dreht sich um sich selbst, furchtsam, heruntergekommen und in seiner Bedürftigkeit lästig, eine Herausforderung, die das Kaleidoskop wechselnder Befindlichkeiten immer wieder in Bewegung zwingt. Doch sogar der vor allem um ihr weißes Sofa besorgten Jude erscheint mit ihm zuweilen das Gesicht der toten Freundin Sylvie, deren Verlust jegliche Freundschaft auf den Prüfstand stellt, denn sie hatte alle zusammengehalten.
"Das war etwas, worüber niemand redete: Wie kleinlich der Tod einen werden lassen konnte. Und dass man sich mit Freunden neu arrangieren und um die Lücke herumschleichen musste, die der oder die Tote hinterlassen hatte, alle plötzlich ratlos, wie sie miteinander umgehen sollten."
Alte Verletzungen
Als die Frauen bei einem Restaurantbesuch auf eine alte Konkurrentin Adeles und einen jüngeren Regisseur treffen, setzt eine Dynamik ein, die, verbunden schließlich mit einem unerwarteten Sturm, viele der sorgsam gehüteten Sicherheiten und Selbstgewissheiten hinweg weht. Keine der Frauen ist unkompliziert und leicht zugänglich, und wenn Zorn und alte Verletzungen sich Bahn brechen, gelingt es der Autorin, allen dreien mit Feingefühl und Gespür für ihre Verletzbarkeit nahe zu bleiben, ohne ihnen zu nahe zu treten. Und ohne jede Angst vor den ganz großen Themen wie Zorn, Verlust, Tod und Verzweiflung.
"Irgendwann brach der Teil von einem, der die Sandbank war, einfach weg und wurde fortgeschwemmt, nachdem die Ränder ständig von all den Verletzungen abgetragen worden waren. Das ganze Leben wurde zum Fluss und man trieb in ihm."
"Ein Wochenende" ist ein Roman über Freundschaft, wie sie sich in Jahrzehnten entwickelt und über die Umstände, die sie erodieren lassen. Über Frauen, ihre Geheimnisse und Verluste und was sie füreinander bedeuten können. Aber auch darüber, was bleibt und uns überleben lässt.
(Lore Kleinert)
Charlotte Wood, *1965 in New South Wales, Australien, Journalistin und Autorin von sechs Romanen und zwei Sachbüchern, lebt in Sydney
Charlotte Wood "Ein Wochenende"
aus dem australischen Englisch von Brigitte Walitzek
Roman, Verlag Kein & Aber 2020, 288 Seiten, 22 Euro
eBook 17,99 Euro