Claire Berest
Das Leben ist ein Fest
Sie weiß genau, was sie will, als sie sich auf den Weg macht, um Diego Rivera zu beobachten. Der berühmteste Maler Mexikos arbeitet an einem seiner spektakulären Wandgemälde, „Murals". Und wann immer er malt, ist das ein öffentliches Spektakel. Sie hat zwei Bilder dabei und will sein Urteil hören.
Malen gegen den Schmerz
Sie hat ihn schon einmal beobachtet, heimlich, als Schülerin im Hörsaal ihrer Schule, wo er das Fresko „Die Schöpfung" schuf und sie sich eine Zukunft mit ihm ausmalte. Das war vor ihrem schrecklichen Unfall. Sie saß im Bus, eine Straßenbahn rammte ihn, und eine Eisenstange durchbohrte ihr Becken von der einen Seite zur anderen. Unsägliche Schmerzen, Operationen, Krankenhausaufenthalte – Frida Kahlo ist viele Monate ans Bett gefesselt und beginnt in dieser Zeit zu malen:
„Sie malt, weil sie nicht mehr laufen kann, sie malt, weil der Schmerz sie nachts weckt und sie nicht mehr einschlafen kann. Sie ... tanzt wie eine Wilde, ohne sich zu regen ... sie malt, weil ihr Rücken sie so schmerzt, dass sie dem gern ein Ende machen möchte, weil es die Geister betäubt, die in ihrem Rücken böse lachen, weil sie dabei das Korsett vergisst ..."
Halbwegs genesen, begegnet sie ihm auf einer Party erneut. Diego ist ein Frauenheld, er hat immer wieder Affären, er ist hässlich, er ist fett, ein Exot, ein „Monster” und überzeugter Kommunist. Als sie ihm seine Bilder zeigt, ist er fasziniert.
Lebende Legende
Die Beziehung zu ihm wird zur Achterbahn, ein leidenschaftliches Auf und Ab von Streit, Auseinandersetzung und großer Liebe. Sie heiraten, gehen nach Amerika. Er hat einen Auftrag in San Francisco und verkündet den „Gringos", für die er eine Attraktion ist:
„Ich glaube nicht an Gott, ich glaube an Picasso! Und ihr werdet sehen, die Werke der Muralisten werden die Fresken in den Kirchen ablösen."
Es geht weiter nach New York und Detroit, später auch nach Paris, wo Rivera früher schon einmal gearbeitet hat. Frida findet in dieser Zeit ihren typischen Stil, das tägliche Ankleiden wird zum Ritual, ihr Aussehen zum politischen Statement - für ihr Land und seine (einfachen) Menschen.
„Sie zieht Unterröcke übereinander, auf deren Säumen sie selbst gestickte erotische Motive versteckt hat. Sie streift ihre zweite Haut über. Dazu kommen Schmuck und Fetischobjekte – Gürtel, präkolumbianische Perlenketten, Glasperlen, Ketten aus Guatemala ... sie flechtet sich Bänder und Wollfäden ins Haar, formt sie zu Kränzen und salbt sie mit Öl, folgt Schritt für Schritt einer fantastischen sakramentalen Feier; zuletzt das Make up ... Rouge für die Wangen, schwarzes Kajal für die Augenbrauen ...Endlich wird sie Frida Rivera – eine lebende Legende." Und setzt ein politisches Statement, ein Symbol für ihr Volk und dessen Vorfahren.
Auch sie malt in Amerika, aber mehr noch ist sie die kritische Beobachterin ihres Mannes. Rivera begeistert nicht nur, sondern empört auch und schockiert. Frida spielt die Ehefrau des großen Künstlers, duldet seine und hat selbst zahlreiche Affären, stürzt sich ins Partyleben, trinkt und raucht, berauscht sich an sich selbst. Nach einer Fehlgeburt malt sie, „wie sie nie zuvor gemalt hat. So malt keiner sonst, denkt Diego Rivera."
Schillerndes Porträt
Claire Berest zeichnet das eindringliche und schillernde Porträt Frida Kahlos, überschreibt die Kapitel mit Farben und ihren Schattierungen, bezieht sich damit auf die Bedeutung, die Frida Kahlo ihren bevorzugten Farben gab. Sie begleitet als eine faszinierte Beobachterin das ungleiche, exzentrische Paar und ihre große Liebe, die ebenso zerstörerisch wie leidenschaftlich war. Es ist eine ungewöhnliche, spannende Biografie, die von Fridas Leiden erzählt, ihrer Ruhelosigkeit, ihrer politischen Überzeugung, ihrer Lebenslust, ihrer Suche nach Inspiration und künstlerischer Einmaligkeit - und nach einer Ehe ohne die üblichen Konventionen. Immer wieder beschreibt die Autorin einfühlsam und genau die oft surrealen Bilder dieser großen Künstlerin, in denen sich Schmerz, Trauer und Sehnsucht mischen, Leid, Glück und Tragik. Zu ihm, der kein Kind mehr will und ihre Schwangerschaft ablehnt, sagt sie:
„Weißt du, warum ich weine? Ich weine, weil ich in meinem Leben zwei furchtbare Unfälle erlebt habe. Der erste war die Straßenbahn. Der zweite, dass ich dich getroffen habe."
(Christiane Schwalbe)
Claire Berest, *1982 in Paris, veröffentlichte mit 27 Jahren ihren ersten Roman, sie beschäftigte sich jahrelang mit Frida Kahlo, ehe sie diesen Erfolgsroman schrieb. Ausgezeichnet mit dem Grand Prix des Lectrices ELLE 2020.
Claire Berest „Das Leben ist ein Fest"
Ein Frida-Kahlo-Roman
aus dem Französischen von Christiane Landgrebe
Roman, Insel Verlag 2021, 221 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro, AudioCD 16,39 Euro