Davide Longo
Der Fall Bramard
Corso Bramard ist ein schweigsamer Mann mit schmerzhafter Vergangenheit. Vor mehr als zwanzig Jahren war er einem Ritualmörder auf der Spur, und als er ihm zu nahe kam, wurde seine Frau zum letzten Opfer.
Gefangen in Erinnerungen
Auch seine Tochter verschwand, und der Kommissar zog sich in ein Dorf im Piemont zurück, denn
"der Dreh- und Angelpunkt in jedem Leben, der Augenblick, von dem man dachte, etwas zu sein, was man danach nie mehr sein wird“, blieb der Anblick seiner toten Frau:
"Etwas dringt von außen in uns ein, bringt ein völlig unerwartetes Echo hervor und enthüllt uns, dass wir ganz anders sind, als wir dachten."
Davide Longe baut das Psychogramm eines einsamen Mannes, der in seinen Erinnerungen gefangen ist und zu erstarren droht, sorgfältig und langsam auf. Durch dreizehn Briefe mit Zeilen aus Leonard Cohens Lied "Story of Isaac" ist Bramard an den Mörder gefesselt, denn aus unterschiedlichen Ländern meldet sich dieser "Autunnale", der immer im Herbst Frauen tötete, regelmäßig.
Spurensuche
Im letzten Brief allerdings liegt ein Haar seines ersten Opfers, einer Frau, die er damals am Leben ließ. Eine neue Spur, die der ehemalige Kommissar, der inzwischen als Lehrer arbeitet, zusammen mit einer jungen Kollegin wieder aufnehmen darf. Mit der unkonventionellen Isa hält er die Suche durch,
"weil in ihr dieselben Elemente lebendig waren, die diese Stadt ausmachten – Reue, Wahnsinn, Pflicht, Genie, Geometrie und etwas Beschämendes, woran man keine Schuld hat, das man aber mit allen Mitteln zu verbergen sucht“
– die Stadt Turin wurde selten so liebevoll und treffend beschrieben wie in diesem besonderen Kriminalroman, eine gute Stadt, "eifrig, zivilisiert und überhaupt nicht gleichgültig". Die Spur zu einem alten Skandal, als sich Honoratioren an betäubten jungen Mädchen vergingen, lässt die ungleichen Ermittler "überhaupt nicht gleichgültig", denn er scheint mit der ästhetisierten Quälerei und Mordlust des Autunnale verbunden zu sein.
Traurige Helden
Besonders faszinierend ist die sprachliche Eleganz, mit der Davide Longo, der längst zu Italiens wichtigsten Schriftstellern gehört, die Landschaft seiner Heimat Piemont beschreibt und ebenso die Menschen, die seinen traurigen Helden Corso Bramard einer Lösung näherbringen, wie das nach 25 Jahren noch immer verstörte erste Opfer Clara oder wie Madame Gina, die Bordellbesitzerin:
"Dasselbe Gesicht wie Jeanne Moreau, dieselbe Eleganz. Der Blick von jemand, der ein Waffenarsenal im Keller hat, es aber vorzieht, keinen Lärm zu machen."
Betörender Rhythmus
Die melancholische Poesie seiner Bilder untermalt die Bewegung, mit der sich Verfolger und Verfolgte einander annähern, mit düsteren Farben und einem eigenwilligen, betörenden Rhythmus. Longo führt die Leser in ein Labyrinth, das immer verwirrender erscheint, weil er mit dem feinen Herrn Monticelli einen Gegenspieler aufbaut, der nicht zu durchschauen ist.
In seinem ersten Kriminalroman spielt Longo souverän mit den Möglichkeiten des Genres und setzt mit der Lösung eine Pointe, die es in sich hat.
(Lore Kleinert)
Davide Longo *1971 in Carmagnola bei Turin, Italien, italienischer Schriftsteller
Davide Longo "Der Fall Bramard"
übersetzt aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Rowohlt 2015, 320 Seiten, 19,95 Euro
eBook 16,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Davide Longo
Schlichte Wut