Fiston Mwanza Mujila
Tram 83
Dieser Roman ist nur schwer einzuordnen, denn er ist außergewöhnlich und experimentell, laut, schrill, und dramatisch. Er erzählt von Afrika, von Despotismus, Krieg und Anarchie. Er ist zynisch und tieftraurig, obwohl wirkliches Gefühl bei Fiston Mwanza Mujila kaum Raum findet.
Soldat contra Dichter
Es gibt keinen Plot, keinen roten Faden, keine inhaltliche Struktur. Nur zwei Hauptpersonen, die sich nicht ausstehen können: Es sind die Brüder Requiem und Lucien, der eine ehemaliger Bürgerkriegssoldat und inzwischen skrupelloser Gauner, der andere Dichter, Moralist, Träumer. Der eine hofft, mit seiner Dichtung berühmt zu werden, der andere versucht es zu verhindern. Drumherum wuseln zwielichtige Gestalten, verwahrlost, lasterhaft und schamlos. Sie alle leben in Stadtland, einem fiktiven, düsteren, heruntergekommenen Ort in Zentralafrika, in dem es nur stundenweise Strom gibt – Netzentlastung nannte das ein Rebellenführer.
Eiserner Kampf
Nach Stadtland kommen sie früher oder später alle, aus Hinterland oder sonstwoher, ins Zentrum eines Lebens am Rand der Gesellschaft, in die Bar Tram 83: Prostituierte und Drogendealer, Süchtige und Kriminelle, ehemalige Kindersoldaten, Minenarbeiter und Touristen. Die Frauen führen "einen eisernen Kampf gegen das Alter", hier wird gesoffen, gehurt, gekokst, geraucht und gedealt, betrogen und bedroht. Irgendwann verschwinden sie alle mal in den gemischten sanitären Anlagen, wo die Küken warten, die minderjährigen Prostituierten, die auf das große Glück hoffen.
"Jeder Tag ist ein Kampf. Sobald der Tag anbricht, fragt man sich, was man essen soll und mit der Sonne fügt man sich ein in den Kreis von Stadtland, man angelt, man gräbt, man wühlt, man sammelt, man erfindet, man fickt, man schwitzt, man verkauft, man tauscht, man tratscht, man missbraucht, man besticht, man trinkt, man kackt ins Treppenhaus, man verschmilzt mit dem Jazz, man verachtet die weißen Touristen …" In dieser Hölle aus Willkür, Korruption und Erpressung muss man schon ziemlich abgebrüht sein, um zu überleben.
Sprache der Wut
Es ist die Sprache der Wut, des Hasses und der Gewalt, die unter die Haut geht. Dieser Roman ist ein einziger Aufschrei – gegen Ausbeutung, Kolonialismus, Krieg, Armut und Verlorenheit. Mittendrin der Jazz. Auch im Tram 83:
"Man hört Jazz, weil Jazz einfach dazu gehört … Jazz ist längst nicht mehr Sache der Schwarzen. Nur noch Touristen und Leute, die wissen, wie man das Geld zähmt, kennen die Grundlagen dieser Musik … Deshalb schüttelt das ganze Tram 83 seine Schlafkrankheit ab, sobald Jazz gespielt wird. Beim ersten Ton aus dem Saxophon beginnt der Maskenball."
"Ich komponiere meine Texte - so erfährt man auf der Internetseite des Verlages vom Autor - wie ein Jazzmusiker, ein Saxofonist."
Die Neue Welt
Der Autor schreibt drastisch, die Lektüre ist nicht unbedingt erheiternd, und doch legt man dieses Buch nicht beiseite, liefert sich der gnadenlosen Schilderung dieser im Chaos versinkenden Welt aus. Hier gibt es keine Gefühle, weder für sich selbst noch für andere, keine Rücksichtnahme, keine Achtung. Hier ist sich jeder selbst der Nächste, und wer stört, der wird beseitigt.
"Wenn Du nicht vernichtest, wirst du vernichtet. Das hier ist die Neue Welt. Hier gilt: Jeder für sich, Scheiße für alle. Das hier ist der Dschungel… Der Tod hat keinerlei Bedeutung, weil man noch nie wirklich gelebt hat. Man tut, als würde man leben. Man erfindet ein Scheinleben. Man erfindet ein Leben aus Pornostreifen. Das Einzige, was in Stadtland leicht zu beschaffen ist."
Wütende Anklage
Tristesse, Chaos, Anarchie – das könnte im Kongo sein, wo der Autor in einer Minenstadt geboren ist, aber auch in jeder anderen verlorenen Republik Schwarzafrikas, in der Ausbeutung durch die Weißen ebenso Regel war wie die durch schwarze Potentaten. Ein buchstäblich irres Buch, in dem das apokalyptische Ende der Welt vor der Tür steht, und ein Roman, der mit Form und Sprache spielt und kraftvoll geschrieben ist - als zorniger Rap und als wütende Anklage, in scharfen Dialogen und atemlosen Aufzählungen, szenisch-theatralisch, rhythmisch und stilistisch beeindruckend. Ein sprachliches Stakkato und ein ziemlich abgefahrenes Romandebüt.
(Christiane Schwalbe)
Fiston Mwanza Mujila, *1961 in der Demokratischen Republik Kongo, kongolesischer französischsprachiger Schriftsteller, lebt seit 2009 in Graz und unterrichtet afrikanische Literatur an der Universität
Fiston Mwanza Mujila "Tram 83"
übersetzt von Katharina Meyer und Lena Müller
Roman, Zsolnay 2016, 208 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro