Tanizaki Junichiro
Der Schlüssel
"So illustriert der teils unappetitliche, teils unfreiwillig komische Roman des 75jährigen Japaners Tanizaki am Ende hauptsächlich die alte Volksweisheit, daß allzuviel ungesund ist …" urteilt ein Kritiker 1961.
Spiel mit Assoziationen
Über 50 Jahre später liest man den Roman mit ganz anderen Augen, denn Junichiro Tanizaki schildert zwar seine geheimsten Sehnsüchte in einem Tagebuch, das seine Frau lesen soll – weshalb der Schlüssel sichtbar vor dem Schränkchen liegt, in den er das Buch einschließt. Aber diese Schilderungen sind alles andere als unappetitlich, auch nicht offen erotisch oder gar detailgenau. Ganz im Gegenteil. Mögliche Einzelheiten dessen, was sich da im Schlafzimmer des Professors mit seiner zehn Jahre jüngeren Frau Ikuko abspielt, bleiben unausgesprochen, der Roman spielt mit der Assoziation der Leser.
Heimliche Seelenqualen
Der Reiz dieses vom Verlag Kein & Aber wiederentdeckten und jetzt neu aufgelegten Romans liegt im Verschweigen. Denn eigentlich geht es dem Autor um die Beschreibung heimlicher Seelenqualen, die beide durchleben. Ikuko wurde
"in eine der ältesten Familien Kyotos hineingeboren und in einer feudalen Atmosphäre erzogen, (sie) legt noch heute in vielem Wert auf überkommene Moral und neigt sogar dazu, stolz darauf zu sein."
Moral und Tradition, d.h. den Mann lieben und ihm dienen. Allein der Wunsch nach Sex ist also schon revolutionär, erst recht, wenn er sich auf einen deutlich jüngeren Mann richtet, der als Ehemann ihrer Tochter auserwählt wurde. Quälend obsessiv sind die Wünsche des Professors, der sich hinter seinen Büchern verschanzt und seine Frau erst im Schlafzimmer wirklich wahrnimmt, um dort ihre Unterwerfung zu verlangen. Was sie verweigert. Dabei entsprechen auch seine Bedürfnisse keineswegs den herkömmlichen Regeln von Sittsamkeit und Anstand in einer traditionellen japanischen Ehe.
Tragisches Versteckspiel
Ein zunächst spielerisches, dann tragisches Versteckspiel beginnt. Beide schreiben Tagebuch, glaubend, dass der andere diese Notizen liest, und beide ertränken ihre Wünsche in Cognacgelagen. Auf diese Weise entziehen sie sich der offenen Kommunikation. Also weiß Ikuko zunächst auch nicht, dass sich ihr Mann Hormonspritzen geben läßt. Zugleich steigert er sich bewußt in Eifersucht auf den jüngeren Konkurrenten hinein, der eine Affäre mit der Ehefrau beginnt. Ikuko ist also eigentlich eine moderne Frau, die ihr Leben nicht tradierter japanischer Sittsamkeit opfern möchte - insofern ist dieser 1956 erschienene Roman durchaus modern.
Nichts und niemand folgt in diesem Roman, der die Außenwelt weitgehend ausspart, gesellschaftlich gesetzten Erwartungen. Den Professor treiben Obsessionen und künstliche Hormone schließlich in den Schlaganfall, die gemeinsame Tochter verkuppelt Mutter und Eheanwärter, und Ikuko bricht nach und nach alle traditionellen weiblichen Verhaltensmuster.
Zwischen Komik und Tragik
Es geht um Herrschen und beherrscht werden, um Macht und Unterdrückung, um Zwang und Unterwerfung – der leidend leidenschaftliche Professor bezahlt schließlich mit dem Tod, die Ehefrau muss ihre Affäre hinter der Scheinehe der Tochter mit dem Geliebten verstecken.
Ein Roman, der kühl, sachlich und unaufgeregt erzählt ist, zwischen Komik und Tragik schwankt und herkömmliche Traditionen in Frage stellt. Zu seiner Zeit gewiss ein Skandalroman - von einem Autor, der immerhin schon 70 Jahre alt war, als das Buch 1956 in Japan erschien.
(Christiane Schwalbe)
Tanizaki Junichiro *1886 in Tokio, Autor zahlreicher Romane, Dramen und Essays, gestorben 1965.
Tanizaki Junichiro "Der Schlüssel"
Aus dem Japanischen von Sachiko Yatsushiro und Gerhard Knauss
Roman, Kein & Aber 2016, 187 Seiten, 22 Euro
eBook 17,99 Euro