Isabel Allende
Mayas Tagebuch
Maya ist eine durchgeknallte junge Frau, 19 Jahre alt, die innerhalb weniger Jahre nicht nur an die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte geraten ist, sondern sich auch in große Gefahr gebracht hat. Sie ist ins Gangstermilieu abgerutscht und wird verfolgt.
Jede Menge Zeit
Aber sie hat einen Schutzengel: ihre Großmutter, die sie buchstäblich aus dem Verkehr zieht, in ein Flugzeug setzt und ihr ein Heft in die Hand drückt
"mit 100 leeren Seiten, damit ich Tagebuch schreibe … Du wirst jede Menge Zeit haben, dich zu langweilen, Maya. Du kannst sie nutzen und über den monumentalen Mist schreiben, den du gebaut hast, vielleicht kriegst du ein Gespür für die Ausmaße."
Sie landet auf einer Insel in Chile, fernab vom alltäglichen Luxus des amerikanischen Alltags. Es ist die Heimat ihrer Großmutter, die dort einen Freund gebeten hat, auf Maya aufzupassen. Bis sie es – vielleicht - selbst einmal schafft.
Friedliche Einöde
Maya ist bei den Großeltern aufgewachsen, ihre Mutter hatte sie als Baby einfach dort abgegeben, weil sie sich in Ehe und Schwangerschaft gedrängt gefühlt hatte und lieber frei sein wollte. Nicht unbedingt der beste Start ins Leben, den die Autorin ihrer Hauptperson zuteil werden lässt. Mayas Kindheit aber ist behütet, doch nach dem Tod des Großvaters bekommt die Großmutter schwere Depressionen und Maya drifte ab ins Drogenmilieu, in die Prostitution, auf die Straße:
"Angeblich sortiert einen die Gesellschaft nach ein paar Monaten auf der Straße endgültig aus, weil man dann schon aussieht wie ein Bettler, das eigene Ich verliert, das Umfeld wegbricht. Bei mir ging es schneller, innerhalb von drei Wochen war ich unten."
Maya gerät in die Hände von Zuhältern, Drogenhändlern und gnadenlosen Killern und schließlich – in letzter Minute – in die friedliche Einöde der kleinen Insel Chiloé, wo sie zur Ruhe kommen wird.
Natur und Magie
Dort wird sie inmitten von Natur und magischen Ritualen ihr bisheriges Leben aufarbeiten, zu sich selbst finden, dabei in die Geschichte Chiles eintauchen, in Unrecht und Diktatur des Landes, aus dem die Großmutter einst floh. Aber Isabel Allende wäre nicht Isabel Allende, hätte nicht der anfangs so geheimnisvolle und wortkarge Manuel, ein verschrobener Anthropologe, der Maya aufnimmt, eine bedrückende Vergangenheit in Chile hinter sich:
"Die Militärjunta verhängte das Kriegsrecht, und zu den ersten Maßnahmen gehörte die strenge Zensur sämtlicher Medien. Es gab keine Nachrichten mehr, nur noch Gerüchte … Man sprach von Konzentrationslagern und Folterzentren, von Tausenden und Abertausenden Gefangenen, von Toten und ins Exil Vertriebenen ..."
Traum und Trauma
Auch in diesem Roman fasziniert die wahrhaft überbordende Fantasie und Erzählkunst der Autorin, die eine opulente Familiengeschichte mit dem Trauma der Pinochet-Diktatur mischt, die schillernde und durchaus realistische Biografie der Maya mit politischen Fakten verknüpft und uralte Familiengeheimnisse aus der seelischen Verdrängung zurück ins Bewusstsein holt.
Mit Mayas Tagebuch liefert Allende eine bewährt fesselnde und dramaturgisch perfekte Lektüre, in der große Gefühle und schreckliche Erlebnisse dicht beieinander liegen. Ein Schmöker, packend, aufregend und überzeugend.
(Christiane Schwalbe)
Isabel Allende *1942 in Lima, Peru, Journalistin und Schriftstellerin, lebt in Kalifornien
Isabel Allende "Mayas Tagebuch"
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Roman, suhrkamp taschenbuch 2016, 447 Seiten, 9,99 Euro
Die Hardcover-Ausgabe ist bei Suhrkamp 2012 erschienen.
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