Lana Bastašić
Fang den Hasen
„Doch was waren wir damals, dieses Lejla und ich? Ein bisschen Fleisch und Menschlichkeit.“ Freundinnen waren sie damals, Lejla und Sara, und als nach 12 Jahren ein Anruf die Stille zwischen ihnen beendet, macht sich Sara auf den Weg und lässt ihr Leben in Dublin hinter sich.
Schwierige Freundschaft
Sie holt Lejla ab, um mit ihr von Mostar nach Wien zu fahren. Ihre Reise führt sie nicht zurück in eine Kindheitsidylle, sondern zum Beginn einer Freundschaft, die immer widersprüchlich und schwierig war.
„Das Leben war für Lejla ein wütender Fuchs, der nachts kommt, um einem das Geflügel zu stehlen. Über das Leben zu schreiben hieß für sie, am nächsten Tag das verstümmelte Huhn anzustarren ohne irgendeine Möglichkeit, das Mistvieh jemals auf frischer Tat zu ertappen. Vor allem aber war ihr, wie mir scheint, niemals klar, warum sich jemand mit gesundem Verstand hinsetzte, um Gedichte zu schreiben.“
Sara aber schreibt inzwischen Gedichte, hatte nach der Schulzeit Literatur studiert und Bosnien verlassen, während Lejla, die sich irgendwann Lela nannte und ihre bosnischen Wurzeln kappte, ein unordentliches Leben führt und sich, wenn sie Geld braucht, prostituiert.
Zwischen Angst und Faszination
Der Roman, konsequent aus Saras Perspektive geschrieben, stellt die Freundschaft nicht infrage, sondern demontiert sie Zug um Zug, indem die Ich-Erzählerin der Faszination nachgräbt, die die wilde Lejla und ihr schöner älterer Bruder für sie hatten. Sie schont sich nicht, sondern versucht, die Gemengelage aus Angst, Faszination und Befremden zu begreifen, die sie mit der Freundin noch immer verbindet.
„Vielleicht ist das Erinnern für mich auch wie ein zugefrorener See – trüb und glatt -, an dessen Oberfläche sich von Zeit zu Zeit ein Riss auftut, durch den ich meine Hand stecken und ein Detail, eine Erinnerung im kalten Wasser fassen kann. Doch zugefrorene Seen sind heimtückisch.“
Während Sara ihre wildere, damals bewunderte Freundin nach Wien fährt und sich an ihre Ängste und Selbstzweifel erinnert, versucht sie zu begreifen, warum sie noch immer Angst hat, Lejla zu verlieren und mit ihr das Bild von Coolness, an dem sie sich angelehnt hat, eingesponnen in pubertärer Lebensunsicherheit. Was war das für ein ‚Wir‘, das sie verbunden hat, und was ist davon geblieben? Was lässt man besser los, wenn es als Projektionsfläche nicht mehr notwendig ist? Und wartet Lejlas Bruder in Wien auf sie?
Verlorene Kindheit
Lana Bastašić kreist die ausgefransten Ränder dieser verlorenen Kindheit in Bosnien in ungewöhnlich schöner Sprache ein und kommt im Laufe der Reise dem Schmerz, erwachsen zu werden, immer näher. Der Krieg und die Abgründe der jugoslawischen Geschichte flackern an diesen Rändern auf, wie eine ferne Erinnerung, die die Geschichte zweier Mädchen düster einfärbt und allmählich zurückbleibt, wie das verlorene Land.
„Ich wollte es groß und grün in Erinnerung behalten, wasserreich und lebendig, zwischen den Fingern ausgebreitet. Ich wollte es so in Erinnerung behalten, wie es niemals war, zumindest nicht für uns.“
Lana Bastašićs Roman misst die Differenz zwischen den Wünschen und Hoffnungen und dem, was davon geblieben ist, mit scharfem Blick aus. Lakonisch und traurig erkennt sie, dass man dem Wissen um das, was war, nicht ausweichen kann. Zwölf Jahre lang hatte Sara es vermieden, sich zu erinnern und ihr Leben darauf aufgebaut. Sich mit Lejla und ihr auf die Reise zu begeben, ist ein lohnendes Experiment mit offenem Ausgang, und dazu ist Literatur da.
„Doch sie erinnerte mich immer an etwas Wesentliches in mir, einen Kern, der sich nicht auf vier regelmäßige Ecken reduzieren ließ. Sie erinnerte mich daran, dass der natürliche Zustand dieser Welt Unordnung war und dass unsere Leben, die um die Anstrengung herum organisiert waren, Ordnung in all dieses Chaos zu bringen, eigentlich nichts anderes waren als ein Spiegelbild endloser Arroganz.“
(Lore Kleinert)
Lana Bastašić, *1986 in Zagreb/Kroatien als Kind serbischer Eltern, nach dem Zerfall Jugoslawiens in Bosnien aufgewachsen, hat viele Jahre in Barcelona gelebt, Autorin von Erzählungen, Lyrik und als Debüt-Roman „Fang den Hasen“, lebt in Zürich
Lana Bastašić „Fang den Hasen“
aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger
Roman, S. Fischer Verlag 2021, 336 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro