Leonardo Padura
Ketzer
Drei Bücher in einem, geordnet nach den biblischen Namen Daniel, Elias und Judith, und ans Ende setzt Leonardo Padura eine kleine Pointe unter dem Titel 'Genesis'. Daniels Geschichte führt ins Havanna der Jahre 1939 bis 1958; hier wartet der junge Jude aus Deutschland auf die MS Louis, die 937 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland an Bord hat.
Diebstahl
Doch seiner Familie und fast allen anderen wird die Einreise verweigert, das Schiff fährt zurück. Die Lebensversicherung aber, auf die die Familie gesetzt hatte, ein kleines Bild des Malers Rembrandt aus ihrem Besitz, wurde von Bord gebracht und gestohlen. Als Daniel das Land 1958 verlässt, nimmt er den Zorn über den Verrat mit nach Miami, und sein Sohn Elias wird sich auf die Suche machen, fast 50 Jahre später.
Denkmal
Die Spuren der damals großen jüdischen Gemeinde Havannas sind längst verweht, doch Padura setzt ihr mit Daniels Geschichte ein Denkmal.
"Viele von ihnen sahen sich gezwungen fortzugehen, wie sie gekommen waren: nur mit einem Koffer voller Kleidung. Nach allem, was sie über das Schicksal der Juden in den unermesslichen Weiten des sowjetischen Reiches wussten, würde, so fürchteten sie, nur wenig von ihrem Glauben, ihren Bräuchen und ihren Geschäften die Umwälzungen unbeschadet überstehen. Und so verließen die Juden Kuba trotz ihrer guten Erfahrungen mitsamt ihren Koffern, ihren Gebeten, ihren Speisen und ihrer Musik."
Schüler
Im Buch Elias erzählt Padura, wie das Rembrandt-Bild zu einer ostpolnischen Familie und mit ihr nach Deutschland kam. Elias will Maler werden, und obwohl das im Judentum nicht wohl gelitten ist, wird er Schüler des großen Rembrandt. Liebevoll und mit großer historischer Detailgenauigkeit beschreibt Padura, wie er seinen Weg gegen alle Widerstände macht und in der goldenen Zeit Amsterdams die Anerkennung seines Meisters erwirbt – bis die Judenverfolgung sein Leben aus der Bahn wirft.
"Ihr habt mein Leben verändert, Meister…und nicht nur, weil ihr mir das Malen beigebracht habt. ..Ihr habt mich gelehrt, dass frei zu sein mehr bedeutet, als an einem Ort zu leben, an dem die Freiheit proklamiert wird. Dass frei zu sein ein ständiger Kampf ist, den man täglich bestehen muss, gegen alle Mächte, gegen alle Ängste."
Geheimnis
Zusammengehalten und mit der aktuellen Situation der Menschen in Kuba verbunden werden diese beiden höchst lebendigen Geschichten durch Leonardo Paduras alten Freund, seinen Ermittler Mario Conde. Er wird vom Sohn Daniels mit der Aufklärung des Geheimnisses um den gestohlenen Rembrandt beauftragt, der auf einer Auktion in London aufgetaucht ist.
Im Buch Judith verknüpft Conde diese Ermittlung mit der Suche nach einem verschwundenen Mädchen und taucht tief in Kubas Jugendkultur ein. Der Mann mit dem großen Herzen und den ewig leeren Taschen begegnet jungen Leuten, die mit allen Mitteln ihre Individualität demonstrieren wollen, auch um den Preis der Selbstverletzung.
"Sie waren mit nichts aufgewachsen in einem Land, das sich allmählich von sich selbst entfernte und in ein anderes Land verwandelte. Ein Land, in dem die alten Parolen immer abgegriffener und hohler klangen, während aus dem täglichen Leben die alten Versprechungen verschwanden und neue Bedürfnisse und Anforderungen entstanden."
Hoffnung
Den Ermittler Conde lassen diese Kinder der großen historischen Enttäuschung und jahrzehntelanger Armut nicht kalt, und wie schon im "Havanna-Quartett" wird der Liebhaber von Rum, Frauen und alten Büchern zur Verkörperung des alltäglichen Lebens auf der kleinen Insel Kuba, mit ihrem Verfall, den täglichen Anstrengungen, den kleinen Freuden, etwa den regelmäßigen Zusammentreffen der Freunde, die gemeinsam jung und voller Hoffnung gewesen waren.
"Diese Zusammenkünfte der praktizierenden Fundamentalisten der Freundschaft… hatten den wohltuenden Effekt, den Kummer, die Verluste und die Frustrationen der Gegenwart vergessen zu lassen und die Clique auf das sichere Terrain ihrer sentimentalen, geliebten Erinnerungen zu geleiten, aus dem sie nicht vertrieben werden konnten."
Diese kubanische Gegenwart gibt den Geschichten der sehr unterschiedlichen Ketzer Halt, und die historisch sehr präzisen Recherchen Paduras fügen sich wieder einmal zu farbenprächtigen Bildern von großer Strahlkraft und einer spannenden Zeitreise zu vergessenen Kapiteln der Geschichte zusammen.
(Lore Kleinert)
Leonardo Padura *1955 in Havanna, kubanischer Schriftsteller, lebt in Havanna
Leonardo Padura "Ketzer"
übersetzt aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag 2014, 520 Seiten, 24,95 Euro