Lizzie Doron
Was wäre wenn
Was wäre wenn – eine Frage, die einen großen Raum eröffnet und dennoch keine Antworten bereithält. Der Raum, in den die Ich-Erzählerin in Lizzie Dorons Roman zurückkehrt, ist Israels Geschichte, von Beginn an geprägt vom Krieg.
Erinnerungen an die Kindheit
Als sie drei Jahre alt war, 1956, tobte der Sinaikrieg, und ihre Mutter, die den Holocaust überlebte, die Jiddisch sprach und sie nie umarmte und küsste, war immer wieder sehr krank, beschädigt in ihrer Fähigkeit zur Zärtlichkeit.
„Aber in dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, geht man nicht verloren. Der Mann aus Sobibor kennt die Frau aus Bergen-Belsen gut, und sie bringt mich zu der Frau aus dem Ghetto Krakau, die mich schließlich zu der richtigen Mutter aus Auschwitz zurückbringt.“
Die Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend überfallen sie, als sie am Ende des Jahres 2018 an das Sterbebett des Jugendfreundes Yigal gerufen wird. Er wird das neue Jahr nicht mehr erleben. Vor mehr als fünfzig Jahren feierten sie Israels Sieg im Sechs-Tage-Krieg und Yigal schwor, im nächsten Krieg für Israel zu kämpfen:
„Das Leben ist nur Israel geweiht, und ist es das nicht – ist es kein Leben. Ein unsagbar schönes Leben liegt vor uns, und nur meine Mutter verdirbt weiterhin die Stimmung.“
Zerbrochene Familien
Lizzie Doron lässt die Erzählerin sich in die Zeit Anfang der 70er Jahre zurückerinnern, als sie während des Militärdienstes Yigal noch einmal sieht, und als er nach dem nächsten Krieg, dem Yom Kippur-Krieg 1974 zurückkehrt, verwundet und vernarbt, in syrischer Gefangenschaft gefoltert, ist er ein anderer geworden, ein entschiedener Kriegsgegner, den jede Art von Heldentum abstößt, und der nicht mehr in ihr Leben passt. Hat sie ihn verraten, als er Hilfe suchte? Als er sich entschieden hatte zu schreien, wie damals ihre Mutter?
„Ich kehre zurück zu den Häusern, in denen wir gewohnt haben, zu unseren geschichtslosen, zerbrochenen Familien. Mein Kopf kehrt zurück zu den Träumen, die wir hatten, und zu der Fantasie, mit der wir die Leere ausfüllten, und zum ersten Mal überhaupt kommt mir in den Sinn, dass mein ganzes Leben lang viele Menschen um mich waren, die etwas Schreckliches über diese Welt wussten.“
Die kurzen Szenen, Flashbacks zwischen den Zeiten und den Kriegen, verdichten sich in Dorons Roman zum Bild einer Gesellschaft, die so viel Schmerz nicht ertragen und zulassen konnte, um den Preis seelischer Verhärtung. Der Mann, der schwer verletzt aus dem Krieg zurückkam, hat durch sein Weiterleben die Geschichte all der Toten nicht verstummen lassen, und die Autorin beschreibt ergreifend, wie sein Sterben ihn in der Erinnerung der frühen Freundin wiedererweckt, bis sie erkennt, wie sehr er in ihr Leben verwoben ist.
„Ich werde nicht mehr die sein, die ich war, werde nie mehr vergessen, dass auch ein verschatteter Obstgarten weiße Blüten hervorbringt. Und ich werde dich nicht vergessen.“
(Lore Kleinert)
Lizzie Doron, *1953 in Tel Aviv, israelische Autorin mehrerer Romane, lebt in Tel Aviv und Berlin
Lizzie Doron „Was wäre wenn“
aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Roman, Deutscher Taschenbuchverlag 2021, 144 Seiten, 18 Euro
eBook 14,99 Euro, AudioCD 12,39 Euro