Milan Kundera
Das Fest der Bedeutungslosigkeit
Sechs Personen haben ihren Autor, ihren "Meister" gefunden – Männer unterschiedlichen Alters, verknüpft durch mehr oder minder zufällige Begegnungen im Jardin du Luxembourg, im Bistro und auf einem Abendempfang.
Marionettentheater
Der ganz und gar unauffällige und umso erfolgreichere Frauenverführer Quaquelique und d’Ardelo, der eine Krebsdiagnose erfindet, um seine Geburtstagsparty besser genießen zu können, ein Fest, das Charles, Erfinder möglicher Stücke für ein hypothetisches Marionettentheater, an diesem Abend inszenieren soll, mit dem arbeitslosen Schauspieler Caliban als pakistanischem Kellner, dessen fremde Sprache jedoch niemanden interessiert – bis er einer jungen Portugiesin begegnet. Als Gäste treten auf: Ramon, der die entscheidende Frage stellt: "Wie findet man sie, die gute Laune?" und schließlich Alain, ein sanfter Mann um die vierzig, der sich beständig entschuldigt, von seiner Mutter schon als Säugling verlassen, aber durch Zwiegespräche und Phantasien mit ihr verbunden.
Die Welt nicht ernst nehmen
"Man muss sie lieben, die Bedeutungslosigkeit, man muss lernen, sie zu lieben",
verkündet Ramon in Milan Kunderas neuem Roman "Das Fest der Bedeutungslosigkeit", dem ersten größeren Werk des am 1. April 1929 in Brünn geborenen und seit den 1970er-Jahren in Frankreich lebenden Autors seit 2001. Denn was bliebe sonst zu feiern, nach einem Jahrhundert, das Kunderas Personen lehrte, "dass es nicht mehr möglich ist, diese Welt umzustürzen oder neu zu gestalten oder ihr unseliges Vorwärtsrennen aufzuhalten" und der einzig mögliche Widerstand, sie nicht ernst zu nehmen, scheint an sein Ende gekommen, wenn die "Dämmerung der Scherze" erreicht ist.
Ende aller Witze
Doch gerade mit dieser Möglichkeit spielt der Autor, wenn sein Personal im Pariser Park oder im Salon flaniert und Ausflüge in die Geschichte unternimmt – zu Stalin etwa, der die zweite Partie seiner 24 Rebhühner erst erschießen kann, nachdem er ein weiteres Dutzend Patronen geladen hatte und keines der Rebhühner davongeflogen war. Ein Witz, den seine Clique nicht komisch fand, denn keiner wusste mehr, was ein Witz war, und das Ende aller Witze schien gekommen.
Spiel mit der Zeit
Kundera aber spielt weiter, mit Zeit und Abstand und lässt keine Bitterkeit aufkommen, denn der Humorfreiheit des ehemals stalinistisch beherrschten Mitteleuropas hat er längst Leichtlebigkeit und Lebensklugheit abgetrotzt, und Stalins Bedeutungslosigkeit wird zum Spiel mit melancholischen Marionetten, dem zornigen Chruschtschow , dem inkontinenten Kalinin, dessen Name nach wie vor auf einer Stadt klebt. Die Phantasie der Männer im Roman beflügeln sie ebenso wie die der Leser.
"Menschen begegnen sich im Leben, plaudern, diskutieren, streiten miteinander, ohne sich bewusst zu machen, dass sie aus großer Entfernung miteinander sprechen, jeder von einem Beobachtungsposten aus, der an einem anderen Ort in der Zeit steht."
Gegen das Vergessen
Mit ungebrochener Lust an diesem Spiel mischt Kundera Traum und Realität, die verschiedenen Zeitebenen und die Sphären des Autors und seines Personals; skizziert nur, sind sie seltsam und bezaubernd in ihrem immer wieder ins Stolpern geratenden Seiltanz zwischen Überheblichkeit und Resignation, über dem das Lächeln eines großen Schriftstellers zu schweben scheint, mit Wissen um den Sinn ihrer literarischen Existenz jenseits aller Botschaften.
Bedeutungslosigkeit, so versteht sich dieser kleine, perfekt wie die Variationen einer Fuge komponierte und wahrscheinlich letzte Roman eines großen Erzählers, könnte die Weisheit gegen das Vergessen sein, in einer Zeit, in der das Lachen, der Humor wieder zu Angriffszielen werden.
(Lore Kleinert)
Milan Kundera *1929 in Brünn, Tschechien, tschechisch-französischer Schriftsteller, lebt in Paris
Milan Kundera "Das Fest der Bedeutungslosigkeit"
"La Fête de L'Insignifiance" übersetzt aus dem Französischen von Uli Aumüller
Hanser 2015, 144 Seiten, 16.90 Euro
AudioCD 12,99 Euro, Hörbuch Download 10,19 Euro