Viet Thanh Nguyen
Der Sympathisant
"Was wird aus denen, die gegen die Mächtigen kämpfen, wenn sie selbst die Macht ergreifen? Was wird aus dem Revolutionär, wenn die Revolution triumphiert?" Fragen wie diese stellt sich der namenlose Held erst am Ende der Geschichte, die er als großes Geständnis, als Beichte seines Lebens erzählt.
Flucht aus Saigon
Am Anfang steht die überstürzte Flucht aus dem besiegten Saigon im April 1975, einer Stadt im Chaos, aus der er als Hauptmann des Geheimdienstes zusammen mit seinem General, dessen Familie und etlichen anderen Repräsentanten der südvietnamesischen Elite flüchtet, nachdem sie sich Plätze im letzten Flugzeug der Amerikaner erkämpft haben. Frau und Kind seines Schulfreundes Bon, eines von der CIA ausgebildeten Profikillers verlieren dabei ihr Leben, und keiner der Exilanten, die in Los Angeles eine neue Heimat finden sollen, weiß, dass der Ich-Erzähler, der in den 60er Jahren in den USA studierte, ein U-Boot des nordvietnamesischen Geheimdienstes ist.
Zwei Seelen
Ebenso detailreich und spektakulär wie das ruhmlose Ende eines Krieges, der die westlichen Gesellschaften spaltete, entwickelt Viet Thanh Nguyen, der für diesen Roman u.a. mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, die Persönlichkeit seines Helden.
"Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern. Da ist es vielleicht kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin…Ich besitze einfach die Fähigkeit, alles von zwei Seiten aus zu betrachten."
Von Beginn an ist der Ich-Erzähler von seiner gespaltenen Identität geprägt: Als Sohn eines französischen Priesters und seiner jungen, vietnamesischen Haushaltshilfe wurde er als 'Mischling' geschmäht, bis er seine Begabung zur Anpassung und übersensiblen Beobachtung zu nutzen lernt und sich schon als Jugendlicher zur Blutsbrüderschaft mit Bon und seinem späteren Agentenführer und kommunistischen Kommissar Man verpflichtet. Während er im Exil als rechte Hand des paranoiden Generals in die Vorbereitung einer konterrevolutionären Invasion hineingezogen und überdies in zwei Morde verwickelt wird, berichtet er getreulich an seinen Gewährsmann in Nordvietnam und ist seiner doppelten Loyalität bis zum Zerreißen ausgeliefert. Seine Fähigkeit zur Balance zwischen zwei Welten ist zugleich seine Stärke und sein Verderben.
Flüchtlingsalltag
Graham Greene und John Le Carré sind, soweit man den Roman als Spionagethriller oder Kriegsroman liest, sicher Vorbilder, mit deren Präzision und Kühle Nguyen mühelos mithält. Interessanter jedoch sind die Erfahrungen des Intellektuellen im Land der ehemaligen Verbündeten, im Alltag der Flüchtlingscommunity, an der Universität, mit dem American Way of Life ganz allgemein. Diese Innensicht eines Geflüchteten reicht in der Qualität ihrer politischen Analyse und Selbsterkenntnis weit über die Genregrenzen hinaus. Seines Verlangens nach Zugehörigkeit und Anerkennung ist sich der noch junge Mann ebenso bewusst wie der Ausweglosigkeit seiner Position. Nguyen schildert ihn als Zeitgenossen, der seine Widersprüche zwischen Verpflichtung und Durchblick mit sarkastischem Humor und beträchtlichem Reflexionsvermögen zur Sprache bringen kann.
"Ich kann nicht der Einzige sein, der glaubt, wenn andere mein wahres Ich zu Gesicht bekämen, würden sie mich verstehen und vielleicht sogar lieben. Aber was, wenn eine solche Demaskierung nicht Liebe, sondern Entsetzen, Ekel und Wut in dem anderen auslöste? Was, wenn das Ich, das man enthüllt, dem anderen so wenig gefällt wie die Maske? Oder noch weniger?"
Sterben und morden
In einer der vielen glänzenden Passagen des mitunter etwas überladenen Romans erzählt er von seinem Mitwirken an der Produktion eines Kriegsfilms, in dem man Francis Ford Coppolas "Apocalypse now" oder auch Oliver Stones "Platoon" erkennen kann. Er spielt seinen Part, die Vietcong-Darsteller aus einem Flüchtlingslager auf den Philippinen möglichst 'echt' aussehen zu lassen, perfekt, bis er die Verlogenheit dieser Darstellung, in der Vietnamesen immer nur sterben und morden, kaum mehr ertragen kann. Der Regisseur, dem er sich um der historischen Wahrheit willen widersetzt, als dieser dem Publikum Vergewaltigungen als 'Gefühlskick' servieren will, beschimpft ihn als Verräter und Verlierer:
"Ich bin ein Verlierer, weil ich den Versprechungen geglaubt habe, die euer Amerika Leuten wie mir gemacht hat, ihr seid gekommen und habt gesagt, wir seien Freunde, nur wussten wir nicht, dass ihr uns nie vertrauen und noch viel weniger respektieren konntet...Tief in euch drinnen lauert nämlich der Verdacht, dass nur Idioten und Verräter euren Versprechungen glauben würden."
Brillant konstruiert
Doch eine Gewinner-Seite gibt es auch dann nicht, als er mit dem von Antikommunisten finanzierten Himmelfahrtskommando des Generals nach Nordvietnam zurückkehrt, aus Loyalität gegenüber dem Freund Bon und in der Hoffnung auf Heimkehr. Viet Thanh Nguyen lässt seinen tragikomisch ambivalenten, namenlosen Erzähler in der kafkaesken Verhörsituation im Gefangenenlager schließlich erkennen, dass Revolutionen ihre Kinder immer wieder verraten und fressen, und er spitzt die Frage zu, die sich in einer Welt voller Krieg und Vertreibung immer wieder neu stellt: "Warum rauben die, die Unabhängigkeit und Freiheit fordern, anderen Unabhängigkeit und Freiheit?" Was bleibt, ist wieder nur die Flucht - ein hellsichtiger, brillant konstruierter Roman mit einem außergewöhnlichen Helden.
(Lore Kleinert)
Viet Thanh Nguyen, *1971 in Südvietnam, seit 1975 in den USA, amerikanischer Anglist und Schriftsteller
Viet Thanh Nguyen "Der Sympathisant"
aus dem Amerikanischen übersetzt von Wolfgang Müller
Roman, Blessing Verlag 2017, 528 Seiten, 24.99 Euro
eBook 19.99 Euro