Cyril Hofstein
Atlas der maritimen Geschichten und Legenden
Eine der berühmtesten maritimen Legenden ist die vom Fliegenden Holländer, von Heinrich Heine neu erzählt, in Hollywood verfilmt und von Richard Wagner zum Helden einer gewaltigen Oper gemacht.
Dunkle Geheimnisse
Ein Verfluchter, der solange über die Meere treibt, bis er erlöst wird. Über Generationen wurde diese Geschichte von Hafen zu Hafen weitergetragen, und Marinehistoriker vermuten, dass ein Kapitän namens Bernhard Fokke, der als ungemein hässlich galt, sein Vorbild gewesen sein könnte. Als er im 17. Jahrhundert im Dienste der niederländischen Ostindien-Kompanie für die Überfahrt von Amsterdam nach Java zwei Monate weniger brauchte als seine Konkurrenten, hieß es, er stehe im Bund mit dem Teufel – Eifersucht also und kein Fluch. Doch die Fantasie war stärker als die Realität: Immer wieder, bis in unsere Zeit, berichteten Kapitäne von mächtigen Segelschiffen, die über das Meer jagen und sich plötzlich in Luft auflösen. Aristoteles‘ Satz steht am Beginn dieser vergnüglichen und kundigen Sammlung maritimer Legenden und Geschichten:
„Es gibt drei Arten von Menschen: die Lebenden, die Toten, und diejenigen, die zur See fahren.“
Attraktion im Museum
Auf See begegnen sich die Lebenden und die Toten, und wer sich aufs Meer begibt, kann sich den dunklen Geheimnissen kaum entziehen. Der Blick ins Endlose provoziert die Phantasie, die all die wiederauferstehen lässt, die hier untergingen. Oder den Hafen niemals verließen, wie die Vasa, die im Hafen von Stockholm am 10. August 1628, geschmückt mit mehreren hundert Holzskulpturen alle Segel gesetzt hatte. Auf ihrem Weg, gesäumt von Hunderten Schaulustigen, geriet sie in Schieflage und verschwand ungeheuer schnell auf dem Grund des Hafens, mit ihr 50 Seeleuten im Unterdeck. Die Kanonen wurden geborgen, dass Schiff selbst erst 330 Jahre später und wurde zur gefeierten Touristenattraktion im Museum. Die Illustrationen dieses reichhaltigen Bandes spielen mit den Farben des Meeres und den Anklängen an alte Seekarten, wenn sie die jeweiligen Orte der Schiffbrüche, der missglückten Expeditionen und erfolgreichen Entdeckungen flankieren.
Menschliche Gier
Abend- und Morgenland, Karibik und Pazifik bis zum indischen Ozean gleichermaßen bieten Geschichten von menschlicher Gier und zügellosem Eroberungswillen, aber auch vom hohen Preis, den Menschen dafür bezahlten. Als die Fregatte „Sémillante“ 1855 die alliierten Streitkräfte im Krimkrieg mit Nachschub versorgen sollte, zerbarst sie an den Granitfelsen einer Untiefe nahe Korsika, und 773 Seeleute und Soldaten starben. Der Dichter Alphonse Daudet schilderte den „Todeskampf der Sémillante“ in einer Erzählung:
„Arme Sémillante! Das Meer hatte sie mit einem Schlag zerschellt…Was aber die Männer betrifft, sie waren alle entstellt, grauenhaft verstümmelt…aber nein! Es hatte nicht sein sollen, daß auch nur einer entkam.“
Legenden speisen sich aus dem Grauen ebenso wie aus der Suche nach den Reichtümern versunkener Schiffe, und auch davon erzählen die Geschichten in diesem Band, die ebenso wie das Gold und die Schätze mit Sorgfalt geborgen und neu entdeckt wurden.
(Lore Kleinert)
Cyril Hofstein ist Historiker, Chefredakteur beim Figaro Magazine in Paris;
Karin Doering-Froger unterrichtet Kunst, hat bereits zahlreiche Bücher illustriert, lebt in Paris
Cyril Hofstein „Atlas der maritimen Geschichten und Legenden“
mit Illustrationen von Karin Doering-Froger
aus dem Französischen übersetzt von Nina Goldt
Dumont Buchverlag 2021, 136 Seiten, 25 Euro