Susanne Schmidt
Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei
Eine Berliner Busfahrerin erzählt
Ältere Frauen fahren vorsichtiger und verursachen weniger Unfälle, sie sind geübt im Umgang mit Stress und sie werden seltener schwanger – gute Gründe für die BVG, vor ein paar Jahren, „ältere Frauen, die Busfahrerin werden wollen" zu suchen. Susanne Schmidt wollte.
Mach dich dick
Und sie wurde genommen, für „das große gelbe Abenteuer" ausgebildet und auf die Buslinien durch Berlin geschickt. Die sind weit, verschlungen und gefühlt oft so eng wie ein Nadelöhr. Da mit einem dicken Doppeldecker erstmal rein- und gefahrlos durchzukommen, erfordert Umsicht, Geschicklichkeit und ein gehöriges Selbstbewusstsein hinter'm Steuer: „Mach dich dick, nimm dir die ganze Straße" ist eine der wichtigsten Regeln beim Abenteur Busfahren – für viele Frauen nicht unbedingt selbstverständlich, aber:
„DU bist der Bus, du! ... nimm dir beide Fahrbahnen, sonst flutscht das nicht!"
Das ist, auch wenn so ein Doppeldecker „erstaunlich weich und wonnig zu fahren ist" anfänglich durchaus eine Mutprobe:
„Wir vergessen ständig, dass wir zwölf Meter Bus hinter uns haben. Noch schwieriger ist es, vier Meter und fünf Zentimeter in die Höhe zu denken, zu lenken. Und die Breite ist ebenfalls neu - unsere Außenspiegel sind groß wie Elefantenohren, nur leider überhaupt nicht so beweglich."
Linie des Grauens
Susanne Schmidt besteht die Prüfung, und für die ersten echten Fahrten sitzt noch ein routinierter Kollege dabei, der „Lehrfahrer", zum Beispiel auf der „Linie des Grauens". Das ist der M48, der von Zehlendorf einmal quer durch die Stadt zum Alexanderplatz fährt. Auf der Strecke erlebt man so gut wie alles, was Großstadtverkehr bedeutet: Zugeparkte Busspuren, Lieferwagen in zweiter Reihe, Staus, Fußgänger, die Sightseeing machen statt auf Ampeln zu achten, tagesaktuelle Umleitungen, Fahrradfahrer, die mit halsbrecherischer Geschwindigkeit unterwegs sind, die Drängelei an den Türen, Rollstuhlfahrer, denen man helfen muss, und die sprichwörtlichen Ballungen in der Busmitte, die zu jener für Berlin nahezu sprichwörtlichen Ermahnung führen: „Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei." Ehe Touristen kapieren, dass sie auf der Lichtschranke stehen, dauert es meist 'ne Weile – kostbare Minuten, die man wieder einholen muss, um halbwegs pünktlich zu sein. Der M48 ist es übrigens nie.
Nach Feierabend
Unpünktlichkeit ist nicht das Schlimmste, was man als Busfahrerin wettmachen muss. Manchmal übersieht man auch die Haltestelle, die sich hinter einem belaubten Baum versteckt, oder – noch schlimmer – man verpasst die Einfahrt zum Tunnel und fährt plötzlich ohne Orientierung weit entfernt vom Streckenverlauf. Ist Susanne Schmidt alles passiert, mal freundlich, mal mit Beschimpfungen und im schlimmsten Fall auch mit sexistischen Anzüglichkeiten kommentiert. Es sei denn, es gibt da so einen Dauerfahrer mit kleinem Hut, der meist vorn sitzt und die Strecke in- und auswendig kennt: „Er wird uns mit großer Freude sein ganzes Leben erzählen und uns dabei unfehlbar auf die richtigen Wege leiten."
Navis gibt es nicht, die würden zusätzlich ablenken, heißt es. Weshalb sich die FahrerInnen die Strecken selbst einprägen müssen – in ihrer Freizeit, als Fahrgast im Bus, denn die Fahrer sollen ständig überall einsetzbar sein. Es wird erwartet, „dass sie ein privates Abfahren der Linien nach Feierabend organisieren. ... Einmal von Anfang bis Ende bis Anfang mitgefahren und Simsalabim – schon weiß der gute Busfahrer (hoffentlich), wo es langgeht." Puh. Das sind verdammt hohe Erwartungen, die zu erfüllen das Privatleben erheblich stören kann.
Ein Knochenjob
Busfahrerin war für Susanne Schmidt ein Traumberuf. Sie hat die Stadt genossen, den Kontakt mit den vielen unterschiedlichen Fahrgästen, mit Alten und Jungen, ihre Witze, ihre Fragen, ihre Kommentare. Woran sie nach einem halben Jahr letztlich doch gescheitert ist: Der Traumjob ist ein Knochenjob. Die Dienstpläne sind zu eng getaktet, die Schichten wechseln ständig und damit der tägliche Arbeitsbeginn. Es gibt keine Regelmäßigkeiten, Pausen gehen oft mit Zettelwirtschaft drauf: An- und Abfahrtszeiten dokumentieren, Fundsachen, Verspätungen, Beschwerden der Fahrgäste. Susanne Schmidt wurde wegen schwerer Erschöpfungssymptome krankgeschrieben und schließlich gekündigt. Auch wenn der Titel ein heiteres Buch verspricht und sich Schmidts Erfahrungen und Anekdoten oft sehr vergnüglich lesen – ihr Buch macht deutlich, dass der Arbeitsalltag von BusfahrerInnen nicht wirklich heiter ist, wenn Tag für Tag gilt: „Ordne dein Leben der Arbeit unter". Das ist auf Dauer pure Überforderung.
(Christiane Schwalbe)
Susanne Schmidt, *1960 im Ruhrgebiet, seit 1976 in Berlin, arbeitete als Erzieherin, Drehbuchautorin, Stadtführerin, Pförtnerin, Social Media-Managerin und Busfahrerin
Susanne Schmidt „Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei"
Eine Berliner Busfahrerin erzählt
hanserblau, 208 Seiten, Paperback, 17 Euro
eBook 12,99 Euro