Christina Lamb
Unsere Körper sind euer Schlachtfeld
Frauen, Krieg und Gewalt
Es sind stille Opfer, deren erschütternde Schicksale sich Christina Lamb angehört und die sie für die Öffentlichkeit aufgezeichnet hat. Als eine der wenigen KriegsreporterInnen hat sie ein Buch über ein Thema geschrieben, das verdrängt und verleugnet wird.
Geächtet und vertrieben
Die islamistische Terrorgruppe Boku Haram holt in Nigeria Mädchen zu Hunderten gewaltsam aus Schulen, sie werden verschleppt, zur Heirat mt Kämpfern gezwungen und sind „Gebärmaschinen" für muslimische Nachkommen. 2014 mobilisiert ein solcher Vorfall unter dem Hashtag #BringBackOurDaughters nicht nur Öffentlichkeit und Presse, sondern auch Millionen von Menschen, unter ihnen zahlreiche Prominente. Christina Lamb trifft in einem Lager Mädchen, denen die Flucht vor ihren Peinigern gelungen ist. Sie erfährt nicht nur, welche unvorstellbaren Misshandlungen sie überlebt haben, sondern auch, dass sie im Lager geächtet, weil „verhext" wurden. Das gilt für vegewaltigte Frauen in vielen Ländern: Sie werden zusätzlich Opfer von Stammesritualen, von ihren Männer verlassen und von Dorfgemeinschaften als „entehrt" vertrieben.
Geduldete Gewalt
Auch die Jagd auf den Volksstamm der Rohingya machte Schlagzeilen, eine Minderheit, die mit staatlicher Gewalt aus Myanmar vertrieben wird. 2016 gab es eine „Säuberungsaktion", mit äußerster Brutalität von Sicherheitskräften umgesetzt. Man spricht von einem „schwelenden Völkermord", belegt u.a. durch Satellitenbilder der Organisation Human Rights Watch:
„Dörfer wurden niedergebrannt, Hunderte Menschen getötet, darunter auch Kinder, und Frauen Opfer von Gruppenvergewaltigungen. 90 000 Menschen wurden zur Flucht gezwungen."
Lamb findet deutliche Worte für die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die „Dame mit den Blumen im Haar und dem Image der tapferen Heldin", die die Vertreibung der Rohingya geduldet hat.
Vergewaltigung als Kriegswaffe
Es gab und gibt eine Vielzahl anderer Kriegsschauplätze, in denen Frauen und Kinder nahezu täglich Opfer bestialischer Gewalt wurden – Jesidinnen, japanische „Trostfrauen", Gefangene des argentinischen Militärregimes. Lamb hat als Kriegsreporterin auch über den Völkermord in Ruanda geschrieben und dort mit Betroffenen gesprochen, die bis heute dafür kämpfen, dass ihre Vergewaltiger vor Gericht gestellt werden – ein einziges Mal mit Erfolg: "Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Vergewaltigung als Kollateralschaden gegolten ... wir haben aufgegriffen, dass Vergewaltigung ... das Leben selbst zerstört." Um dies vor Gericht zu vertreten, waren mutige RichterInnen und AnwältInnen nötig, die den Klägerinnen zur Seite standen. Aber die Justiz der jeweiligen Länder wird in der Regel von Männern dominiert. Ungesetzlich seit Jahrhunderten wurde Vergewaltigung „erst 1998 erstmals als Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt" sagt Lamb und:
„Es stand außer Frage, dass die Vergewaltigungen keine Begleiterscheinung waren, sondern integraler Bestandteil der militärischen Strategie, ebenso als Waffe eingesetzt wie Macheten und Knüppel. ... Kriegsvergewaltigungen wurden stillschweigend hingenommen und straffrei begangen. Militärische und politische Führungskräfte taten, als handele es sich um eine Nebensache. Oder sie wurden schlichtweg geleugnet."
Ein Leben lang traumatisiert
Eine bittere Erkenntnis, der sie die Schicksale von Frauen entgegensetzt, die sie u.a. in Bangladesch, Pakistan, Irak und Syrien, Bosnien, Südamerika und im Kongo traf. Es sind Überlebende und Geflüchtete, die bis zur Bewusstlosigkeit vergewaltigt oder als Sexsklavinnen verkauft wurden, nachdem man ihre Kinder und Männer mit unvorstellbarer Brutalität getötet hat. "Ich fühle mich, als würde ich jeden Tag neu sterben", sagt eine Frau und eine andere: „Es ist schwer, darüber zu reden, aber noch schlimmer wäre es, wenn die Leute nichts davon wüssten."
Lamb begegnet ihnen mit großem Einfühlungsvermögen. Man spürt, dass sie Vertrauen herstellt, ihre Würde bewahren will, damit sie nicht nur als Opfer wahrgenommen werden, wenn sie von ihren körperlichen Misshandlungen erzählen. Mindestens ebenso schlimm sind ihre seelischen Traumatisierungen, sind Scham und Hass und der Verlust jeglicher Gefühle. Manche Frauen brauchten ein Jahr, bis sie wieder sprachen.
Dieses Buch zu lesen, kostet Kraft, ist zutiefst verstörend und macht fassungslos. Aber:
"Ich glaube nicht, dass ich diese Reise je beenden werde. Kriegsvergewaltigungen werden vielleicht nie völlig ausgemerzt sein, aber wir müssen damit aufhören, sie zu marginalisieren und als 'Kriegsbeute' zu betrachten. ... Es ist kein lokales Thema, sondern ein globales, das in einem Wald ausbricht und sich immer weiterfrisst, wie es eine Frau im Kongo formulierte. Solange wir schweigen, machen wir uns mitschuldig, denn damit sagen wir, es sei hinnehmbar."
(Christiane Schwalbe)
Christina Lamb, *1966 in London, britische Journalistin mit vielfachen Auszeichnungen und erfolgreichen Buchveröffentlichungen,
Christina Lamb „Unsere Körper sind euer Schlachtfeld"
Frauen, Krieg und Gewalt
aus dem Englischen von Maria Zettner, Friedrich Pflüger, Heike Schlatterer, Anja Lerz und Karin Schuler
Penguin Verlag 2020, 448 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro
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