Deborah Feldman
Unorthodox
Bücher sind Männern vorbehalten, Mädchen gehören in die Küche, aber "die wenigen Happen verwässerter Weisheit, die meine Lehrerinnen in der Schule bereitstellen, machen mich nur noch hungriger nach mehr." Deborah Feldman ist ein neugieriges, wissbegieriges Kind, das sich heimlich Bücher besorgt, die sie unter der Matratze versteckt.
Gift für die Seele
Würden ihre Großeltern, bei denen sie aufwächst, davon erfahren, gäbe es schwere Strafen. Und wenn sie mit ihren Cousinen englisch statt das gebotene Jiddisch spricht, gibt es ein Donnerwetter. Englisch ist
"eine unreine Sprache … wirkt auf die Seele wie Gift. Ein englisches Buch zu lesen, ist sogar noch schlimmer; es lässt meine Seele ungeschützt zurück, ein Fußabstreifer, dem Teufel zum Willkommen ausgelegt."
Strenge Regeln
Deborah Feldman wächst in der chassidischen Gemeinde der Satma auf, ultra-orthodoxer Juden, die nach traditionellen jüdischen Vorschriften leben, die besonders streng ausgelegt werden, und sich von der übrigen Gesellschaft systematisch abschotten. Der Holocaust, so lernt sie, war die Strafe Gottes für alle Juden, die sich zu sehr assimiliert haben. In Williamsburg, Brooklyn (New York) leben die Satmarer hermetisch abgeriegelt von der übrigen Welt, mit der Deborah allerdings in Berührung kommt als sie heimlich aufs College geht.
Quelle des Bösen
Die Frauen müssen sich die Köpfe scheren lassen und laufen mit Perücke herum, werden jung verheiratet und sollen möglichst viele Kinder gebären, damit die Folgen der Shoah wieder ausgeglichen werden. So ergeht es auch Deborah Feldman, die mit 17 verheiratet und mit 18 Mutter wird. Allerdings nach einem quälenden Jahr, in dem sie es nicht geschafft hat, die Ehe zu vollziehen, geschweige denn ihren Körper zu verstehen, der bislang als Quelle alles Bösen galt, den man verhüllen musste und den man nicht wahrnehmen oder gar berühren durfte. Aus dem Tabu der Sexualität wird plötzlich eine Pflicht.
Ein neues Leben
Der Vater geistig behindert, die Mutter verrückt (dass sie lesbisch ist, erfährt die Tochter erst sehr spät) - Deborah ist von Anfang an eine Außenseiterin in dieser Sekte, deren Regeln sie sich mühsam unterordnet. Als ihr Körper quasi Eigentum der Gemeinschaft wird, der nur dazu dient, Mutter zu werden, entzieht sie sich endgültig. Zwar bekommt sie einen Sohn, aber ihr innerer Rückzug ist total. Sie wartet auf die Gelegenheit, ihrem Gefängnis zu entfliehen. Und sie schafft es, bricht alle Brücken ab und beginnt ein neues Leben. Heute lebt sie mit ihrem Sohn in Berlin.
Unterdrückung und Befreiung
Deborah Feldman hat in "Unorthodox" ihre persönliche Geschichte von Versklavung und Unterdrückung, Ausgrenzung und Befreiung aufgeschrieben. Sie entwickelt ein halbwegs angepasstes Sozialverhalten, das nichts von ihrem inneren Widerstand und der langsamen Loslösung ahnen lässt, konzentriert sich darauf, allen Regeln zu gehorchen und in einer Art gespaltener Persönlichkeit den Wünschen der Familie zu entsprechen und dennoch ihre Autonomie zu bewahren.
"Jahrelang sollte ich mit einem Fuß in jeder der beiden Welten stehen, angezogen vom Universum, das auf der anderen Seite des Tores lag, zurückgerissen von den Warnungen, die wie Alarmsirenen in meinem Geist erschallten."
Dramatisch und berührend und mit großer poetischer Kraft erzählt sie von qualvoller Anpassung, von der Verdrängung natürlicher Bedürfnisse, von ihrer Sehnsucht nach Bildung, vom Wunsch, auszubrechen, und von der Hoffnung, in der Ehe ein unabhängigeres Leben führen zu können. Dabei beschreibt und urteilt sie, aber sie enthält sich jeglicher Verurteilung oder gar Verachtung. Eine beeindruckende Lebensgeschichte.
(Christiane Schwalbe)
Deborah Feldman *1986 in New York, in der chassidischen Satmar-Gemeinde in Williamsburg/Brooklyn aufgewachsen, lebt mit ihrem Sohn in Berlin
Deborah Feldman "Unorthodox"
Aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska
Secession Verlag, Verlag für Literatur 2016, 319 Seiten, 22 Euro
eBook 17,99 Euro, AudioCD 25,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Deborah Feldman
"Überbitten"